Tod Im Anflug
der sich ja schließlich auch kurz »Karl« nannte. Den hatte Tom zwar bislang noch nicht auf dem Radar gehabt, und er tendierte auch eher zu Charlie, aber man sollte vorab nichts ausschließen, das war schon oberste Regel bei
Magnum
. Noch bevor zwischen den beiden Bachstelzen ein Ehestreit darüber ausbrechen konnte, was genau Alex denn nun gesagt hatte, hakte Tom noch einmal nach, um ganz sicherzugehen.
Ja, der Flügellose habe schon da gelegen, und nein, nicht einer seiner Artgenossen war weit und breit zu sehen gewesen – weder ein Karli noch ein Charlie noch sonst jemand.
»Ganz sicher«, piepste Mini, als Tom für einen Moment nachdenklich schwieg. Dass Tom ihnen selbstverständlich glaubte, davon ahnte sie nichts, denn plötzlich veränderte sich ihr Gesichtsausdruck und sie riss die Augen auf. »Du denkst doch jetzt nicht etwa, wir hätten ihn da reingestopft?«
Sofort sprang der große Albatros seinem kleinen Kolibri zur Seite. »Also, wir waren das nicht, Ehrenwort. So etwas machen wir nicht.«
Tom schmunzelte. Auf was für Ideen diese kleinen Bachstelzen kamen. »Natürlich glaube ich euch. Ich bin mir sicher, dass ihr das nicht gewesen seid.«
Sichtlich erleichtert atmeten die Schwarzweißlinge auf. Wie schnell man doch als unbescholtene Bachstelze unter Verdacht geraten konnte, einem Flügellosen den Garaus zu machen – nicht zu fassen!
15
War das der Durchbruch? Es sah tatsächlich ganz danach aus, dass Alex den Bachstelzen im letzten Atemzug noch den Vornamen seines Mörders genannt hatte. Der Traum eines jeden Ermittlers. Tom war überzeugt, dass die Kommissare nichts von Alex’ letzten Worten wussten. Die hatten keinen blassen Schimmer, wie wertvoll gefiederte Zeugen sein konnten.
Dumm nur, dass es gleich zwei Flügellose gab, die diesen Vornamen trugen. Einer war definitiv zu viel. Aber wer? Da Ohrring-Charlie nach wie vor wie vom Erdboden verschluckt schien, watschelte Tom rüber zu Karl-Heinz’ Wiese, um dort mal unauffällig die Lebensumstände zu studieren. Um Charlie wollte sich Rio kümmern, sobald er trocken war. Tom hatte ihm Charlies Aussehen detailgenau beschrieben. Rios Auftrag war es, die Gegend weiträumig abzufliegen und sämtliche Artgenossen nach dem auffälligen Flügellosen zu befragen. Genau der richtige Job für ihn. Es war zwar eher unwahrscheinlich, aber vielleicht hatten sie ja Glück, und jemand kannte Charlies Aufenthaltsort.
Tom hatte Karl-Heinz und Elke noch nie besucht. Da sie nur Volksmusik- und andere Schlagersendungen schauten, hatte es dafür auch keinen Grund gegeben, was wiederum zur Folge hatte, dass Tom fast nichts über sie wusste. Die Titelmelodie irgendeines Krimis – und sei es nur einer Vorabendserie – hatte er dort jedenfalls noch nie gehört. Und Tom kannte sie alle, diese markanten und eingängigen Ankündigungen von blutigen Kapitalverbrechen und seelischen Abgründen. Von ihnen wurde er mindestens genauso angezogen wie Vogeleltern vom Piepsen ihrer nimmersatten Küken.
Während Tom am kurzen Gras zupfte, kam langsam Leben in den Wohnwagen. Elke öffnete die Fenster, ebenso die teilbare Tür, und ließ frische Frühlingsluft hinein. Leise Schlagermusik drang zu Tom hinaus, begleitet von Elkes Stimme, die, wie Tom unschwer erkannte, keine Chance auf den Superstar hatte. Karl-Heinz kam mit gestreiftem Bademantel und Sandalen bekleidet aus dem Caravan heraus und machte sich pfeifend auf den Weg zu den Waschräumen – schräg gegenüber und nur wenige Meter entfernt. Unter seinem Arm klemmte ein Handtuch, in seiner Hand schwang ein praller Stoffbeutel. Er hatte die Gans auf seiner Wiese nicht bemerkt.
Eigentlich war hier alles ziemlich unverdächtig. Das ganz normale Camperleben. Elke bereitete das Frühstück zu, drehte das Radio etwas lauter und sang fleißig mit.
Lieb mich ein letztes Mal, es bleibt mir keine andere Wahl
, erklang ihre Stimme aus dem Caravan.
Tom ließ den Blick schweifen und schaute sich die Parzelle genau an. Alles akkurat und sauber. Der Rasen kurz, die Rosenstöcke gestutzt und in Form gebracht. Trocknende Handtücher – Fehlanzeige. So stellte sich Jupp das perfekte Wohnwagengrundstück wahrscheinlich vor.
Bist du auch morgen nicht mehr hier, etwas bleibt von dir
, sang Elke und klapperte mit dem Geschirr.
Ach du dickes Gänseblümchen! Wahrscheinlich hatten Elke und Alex ein Verhältnis gehabt, schoss es Tom in den Kopf. Und Karl-Heinz – der liebe Karli – hatte seinem Rivalen skrupellos den Garaus
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