Tod im Apotherkerhaus
entwickelt. Kunden kamen und gingen, gegen Mittag brachte eine Mamsell Essen aus einer Garküche - es war dieselbe, die früher auch für Rapp gekocht hatte —, und um drei Uhr beendeten beide ihr Tagewerk. Wenn der Imitator ging, musste auch sein Gehilfe das Haus verlassen.
Rapp stellte fest, dass der falsche Apotheker regelmäßig abschloss und folgerte daraus, dass er irgendwann am späteren Tag Kontakt mit den Halunken haben musste - anders war es nicht zu erklären, dass diese des Nachts über den Schlüssel verfügten. Genauso mussten sie einander in den Morgenstunden wieder treffen, denn bei seinem Erscheinen war der Imitator wieder im Besitz des Schließgeräts.
Oder hatte der Scharlatan mittlerweile einen Zweitschlüssel anfertigen lassen? Nein, nach näherer Überlegung glaubte Rapp nicht daran. Es wäre unklug gewesen, den Schandbuben etwas so Wichtiges zu überlassen, und unklug war der Imitator gewiss nicht.
Der spätere Nachmittag sah für Rapp immer gleich aus: Wenn er nicht zum Hafen ging, verbrachte er die Stunden bei Mine, nahm mit ihr und Fixfööt eine Abendmahlzeit zu sich und setzte in der Nacht alles daran, seinen Thesaurus vor den Lang^ fingern zu schützen. Da er keine Möglichkeit hatte, offiziell gegen das Diebespack einzuschreiten, musste er im Verborgenen kämpfen. Mit Fixfööt an seiner Seite, war es ihm einmal gelungen, ein Rad des Transportkarrens zu blockieren, so dass die Halunken, als sie ihre Beute fortschaffen wollten, eine böse Überraschung erlebten. Ein weiteres Mal hatten sie, unterstützt von Klaas und seinen Bärenkräften, den Karren ins Hafenbecken gekippt, nachdem die Räuber mit ihrer Beute im Anker-Speicher verschwunden waren. Danach war zwei Nächte Ruhe gewesen, bis die Halunken einen neuen Wagen aufgetrieben hatten und das Ganze von vorn begann. Es war ein zähes Ringen, doch auf die Dauer, das schien unabwendbar, würde der gesamte Thesaurus seinen Weg in den Speicher am Kehrwieder , finden. Und sobald der Wind günstig stand, würde ein Schiff ihn nach Übersee bringen, einem fernen Ziel entgegen. Wer, um alles in der Welt, steckte nur hinter diesem Raub? Der Imitator konnte es nicht sein, zu vieles sprach dagegen. Wenn er der Auftraggeber gewesen wäre, hätte er die Kostbarkeiten direkt in sein Haus bringen lassen, irgendwo in Hamburg oder Altona. Denn dass der Mann in der Umgebung wohnte, war klar. Er hätte sonst nicht jeden Tag im Apothekenhaus erscheinen können. Gegen ihn als Drahtzieher sprach außerdem, dass er beim nächtlichen Raub niemals zugegen war - undenkbar bei einem Liebhaber von Thesauren. Andererseits, wenn man bedachte, wie gefesselt er vom Anblick der Paramuricea clavata gewesen war ...
Die Türglocke ging, Rapp wurde aus seinen Gedanken gerissen. Ein lebhafter Steppke erschien, einen Zettel in der Hand schwenkend. Es war der Botenjunge von Doktor Cordt Langbehn, einem alten Arzt aus dem Viertel, der schlecht zu Fuß war und deshalb kaum noch praktizierte. Ab und zu jedoch brauchte er noch immer eine Arznei, und in diesen Fällen schickte er Fiete.
Rapp, der den Jungen gut kannte, musste an sich halten, um ihn nicht beim Namen zu nennen. »Nun, mein Junge, was willst du?«, fragte er schließlich.
»Ik heff'n Rezept von'n Dokter«, sagte Fiete und hielt Rapp den Zettel hin.
Rapp studierte das Papier und gab es an den Imitator weiter. »Ein Rezept von einem Doktor Langbehn, Herr Apotheker. Er benötigt eine Arznei.«
»Ich sehe es. Nun, ich bin mir nicht klar, ob wir sie da haben. Zur Sicherheit sollten wir sie neu herstellen.« »Wie Ihr meint.« Rapp wusste, dass die Arznei in der Tat nicht vorrätig war, hielt aber den Mund.
»Schön, dann zeig mal, was du kannst, Hauser. Ich nehme an, du brauchst meine Hilfe nicht.«
Rapp versuchte, sich seine Verärgerung nicht anmerken zu lassen, und sagte: »Nein, Herr Apotheker, die brauche ich nicht.«
»Gut, ich kümmere mich dann um die anderen Kunden.« Andere Kunden gab es im Augenblick zwar nicht, aber Rapp sagte trotzdem: »Jawohl.« Er betrachtete die Anweisung und sah, dass sie wie immer sehr lang, ja geradezu umständlich war. Es handelte sich um Tropfen gegen Conjunctivitis, wahrscheinlich für die Eigenbehandlung gedacht, da gerade ältere Menschen zu entzündeten Bindehäuten neigten. Für ihre Herstellung hatte Langbehn neben dem ätherischen Öl des Fenchels nicht weniger als sechzehn weitere Substanzen vorgesehen. Rapp schnaubte. Er hielt lange Rezepte für wenig hilfreich,
Weitere Kostenlose Bücher