Tod im Beginenhaus
dass Ihr Eure verdrehten Phantasien in der Stadt herumtratscht, wird es Euch noch Leid tun.» Damit wandte er sich endgültig von ihr ab und verließ den Friedhof mit großen Schritten.
Adelina blickte auf den Grabhügel hinunter. Er wirkte kahl, doch das taten alle Gräber um diese Jahreszeit. Sie fröstelte; feiner Nieselregen hatte eingesetzt. Der Winter war zu launenhaft. Mit eingezogenen Schultern machte sie sich auf den Weg nach Hause.
***
«Habt Ihr diesen Husten schon lange?» Adelina horchte der älteren Frau, die vor ihr stand, mit einem Hörrohr den Brustkorb ab und richtete sich dann mit besorgtem Gesicht wieder auf. «Ihr hättet schon viel früher zu mir kommen müssen.»
«Ich weiß, aber wann hat man schon Zeit?», erwiderte die Frau mit schuldbewusstem Blick. «Mein Gemahl hatte in letzter Zeit so viele Gäste, um die ich mich kümmern musste. Ein Ratsherr soll sich und sein Haus immer im besten Licht zeigen. Gerade dieser Tage bedarf er meiner Unterstützung. Stellt Euch vor, man hat Heinrich von Stave in der Stadt gesehen, obwohl er verbannt wurde! Mein Gemahl sagt, Stave steckt bestimmt wieder mit seinem Neffen unter einer Decke. Irgendetwas planen sie, und das kann für die Stadt sehr unangenehm werden.»
«Sein Neffe?» Adelina sah zu, wie die Frau ihr Kleid zurechtzupfte, und geleitete sie dann aus ihrer Schlafkammer hinüber in die Apotheke. «Meint Ihr Hilger Quattermart?»
«Wen sonst? Ein unangenehmer Mensch. Und mein Gemahl sagt, er sei gefährlich, seit ihm der Kaiser den Freistuhl auf dem Osterwerth fortgenommen hat. Hilger hat sich lange darum bemüht, Freigraf zu werden. Damit hätte er die Möglichkeit gehabt, Hauptmann und Oberster der Stadt zu werden. Aber was erzähle ich Euch da? Ihr seid jung und interessiert Euch gewiss nicht für irgendwelche Streitigkeiten um die Herrschaft in der Stadt. Könnt Ihr mir eine Medizin gegen den Husten geben?»
«Ich bereite Euch einen Tee aus Huflattich, Ehrenpreis und zerstoßenen Alantwurzeln. Davon müsst Ihr morgens und abends einen Becher voll trinken. Wenn Ihr Honig habt, tut etwas davon hinein. Das nimmt die Bitterkeit.» Adelina ging zu einem der Regale und nahm eine hölzerne Dose herunter. Mit geübten Händen füllte sie die erforderliche Menge an Kräutern in ein Leinenbeutelchen und verschnürte es sorgfältig. «Das macht drei Kölner Pfennige. Ihr nehmt den Tee eine Woche lang, dann kommt Ihr bitte wieder her, damit ich Euch noch einmal untersuchen kann, Frau Losschardt. Wenn der Husten dann nicht besser geworden ist, solltet Ihr den Medicus aufsuchen. Magister Burka gilt als ein fähiger Mann.»
«Liebe Adelina, Ihr meint es sicherlich gut.» Die Frau des Ratsherrn lächelte ihr mütterlich zu. «Doch ich glaube nicht, dass mein Gemahl erlauben wird, wegen eines kleinen Hustens den Medicus holen zu lassen. Und bisher haben Eure Tees und Aufgüsse ja auch immergeholfen, warum nicht auch diesmal? Ich wünsche Euch alles Gute, mein liebes Kind.»
Erst nachdem Adelina die Tür hinter der Kundin geschlossen hatte, sah sie, dass der Medicus um die Ecke an der Wand lehnte.
«Ihr bewegt Euch ziemlich leise», sagte sie mit missbilligendem Unterton.
«Es freut mich, dass Ihr mich für einen fähigen Arzt haltet. Das war die Frau des Ratsherrn Losschardt, nicht wahr? Was fehlt ihr?»
«Ich bin mir nicht sicher, aber der Husten sitzt tief, und in der Lunge höre ich Geräusche.»
«Schwindsucht?»
«Wahrscheinlich. Ihr Gemahl ist ein altes Ekel und zu geizig, sie richtig behandeln zu lassen.»
«Sie hat Euch nicht alles erzählt.» Burka verschränkte die Arme vor der Brust. «Es heißt, Heinrich von Stave und Hilger Quattermart planten einen Aufstand. Der Stadtrat ist gespalten. Hilger will seinen Freistuhl zurück.»
«Ihr habt schon wieder gelauscht.» Adelina runzelte die Stirn, doch der Medicus verzog keine Miene.
«Und Ihr habt eine Krankenuntersuchung gemacht, obwohl das in einer Apotheke nicht gestattet ist.» Er lächelte. «Ihr habt laut genug gesprochen, und Eure Tür stand einen Spalt offen. Der Stadtrat verhandelt in Kürze übrigens über eine Verfügung gegen die Beginen. Wenn noch mehr Todesfälle auftreten sollten, müssen sie das Hospital wahrscheinlich ganz schließen. Nach der letzten Pestilenz will niemand mehr ein Risiko eingehen.»
«Woher wisst Ihr das?»
Burka zuckte mit den Schultern.
«Ein Medicus kommt viel herum.»
«Das Hospital darf nicht geschlossen werden!» Die plötzliche Verzweiflung
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