Tod im Beginenhaus
in Adelinas Stimme ließ Burka aufhorchen. Ihre Miene verzog sich gequält. «Es ist der einzige Ort …» Sie verstummte und schlug die Hände vors Gesicht, aber als sie seine Hand an ihrer Schulter spürte, machte sie einen Schritt zurück und sah ihn fast feindselig an. «Ich kann das nicht zulassen. Es ist keine Krankheit. Jemand hat diesen Menschen Schierling gegeben! Ich weiß nicht, wer und warum, aber es ist so!»
«Adelina.» Burkas Stimme verriet Besorgnis. «Glaubt Ihr nicht, dass Ihr Euch da in etwas hineinsteigert? Mag sein, dass die Anzeichen dieser Krankheit einer Vergiftung ähneln, aber Krankheiten zeigen sich auf vielerlei Arten. Wer soll denn den armen Leuten Schierling oder Ähnliches eingegeben haben?» Er schwieg einen Augenblick, und sie spürte seinen Blick so intensiv auf sich ruhen, dass sie wütend ihr Gesicht abwandte. «Ist es wegen Vitus?»
Nur zögernd kam ihre Antwort.
«Wenn Vater einmal nicht mehr da ist und mir etwas passiert, ist er ganz allein auf der Welt. Er kann sich nicht selbst versorgen. Und Verwandte, die ihn aufnehmen könnten, haben wir auch keine. Die Menschen verachten ihn, weil er nicht so ist wie sie. Jemand muss sich um ihn kümmern. Bei den Beginen hätte er es gut. Ich will nicht, dass man ihn in einen Turm sperrt und ankettet wie ein wildes Tier!» Sie blickte ihn an. «Wart Ihr schon einmal in einem Narrenturm?»
«Ich war schon einmal in einem Narrenturm, ja. Und ich weiß besser, als Ihr denkt, wie es dort zugeht. Ein Hospital wie das der Beginen habe ich zuvor noch nirgendwo gesehen. Ich verstehe Euch gut. Aber gegen einen Beschluss des Stadtrats werdet Ihr nichts ausrichtenkönnen. Allerdings kann es ja auch sein, dass niemand im Hospital mehr von der Krankheit befallen wird, dann wird es auch nicht geschlossen.»
«Glaubt Ihr denn, dass niemand mehr sterben wird?» Als er nicht antwortete, schüttelte sie verzagt den Kopf. «Und wo soll Vitus dann hin?»
«Adelina, bisher seid Ihr am Leben und jung. Und Euer Vater ist auch noch da. Meint Ihr nicht, dass Ihr noch Zeit habt, darüber zu entscheiden?» Er sah sich um. «Wo ist Euer Vater überhaupt?»
«Er ist zum Zunfthaus Himmelreich gegangen. Der Kaufmannszunft gehören ja auch die Apotheker an. Es heißt, es gäbe nach Weihnachten wieder einen Lehrbuben für uns.»
«Das ist eigentlich eine gute Nachricht. Ihr klingt aber nicht sehr erfreut.»
«Das bin ich auch nicht. Aus vielerlei Gründen.» Draußen begannen die Glocken von St. Martin zu läuten. Auch von ferneren Kirchen wehten Glockenschläge heran, vereinigten sich und verkündeten gemeinsam das Ende eines arbeitsreichen Tages. Adelina ging zur Ladentür und verschloss sie sorgfältig, schob jedoch vorerst nicht den Riegel vor, damit ihr Vater später noch hereinkonnte.
Magister Burka folgte ihr in die Küche und sah ihr dabei zu, wie sie den großen Ofen mit Holz bestückte und auch auf das Kochfeuer in paar Scheite auflegte. Vitus, der auf der Ofenbank geschlafen hatte, erwachte, streckte sich laut gähnend und rieb sich die Augen.
«Wo ist Fine?», wollte er wissen und spähte unter die Bank und hinter den Holzstapel. Adelina klopfte sich die Hände ab.
«Ich habe sie vorhin nach draußen gelassen.»
«Warum?» Der Junge sprang auf. «Sie soll nicht raus, wenn die anderen sie totmachen wollen!» Seine Stimme überschlug sich, und er wäre hinausgestürmt, hätte Adelina ihn nicht am Ärmel erwischt.
«Vitus, die Katze wollte hinaus. Katzen müssen draußen rumlaufen. Sie kommt doch wieder zurück, wenn sie Hunger hat.»
«Ich will nicht, dass sie draußen ist, wenn die anderen sie totmachen wollen», wiederholte er stur und begann dann zu weinen. Je mehr er sich aus dem Griff seiner Schwester zu befreien versuchte, desto eiserner hielt sie ihn fest. «Ich will gucken, wo sie ist!», brüllte er und schlug schluchzend um sich. Nur mit großer Mühe gelang es Adelina, seine Handgelenke zu packen und aneinander zu pressen.
«Vitus, hör auf!» Sie konnte kaum sein Schreien übertönen. «Es ist schon dunkel. Du kannst jetzt nicht nach ihr suchen. Fine kommt von allein wieder nach Hause. Das tut sie doch immer. Setz dich an den Tisch!»
«Die anderen wollen sie aber totmachen.» Er zuckte nun unkontrolliert, doch seine Gegenwehr ließ ein wenig nach, sodass Adelina ihn zum Tisch schieben konnte. Der Medicus war bei dem plötzlichen Ausbruch des Jungen erschrocken aufgesprungen, um Adelina zu helfen, doch ein abweisender Blick von ihr
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