Tod im Beginenhaus
schloss die Augen und presste die Lippen so fest aufeinander, wie sie nur konnte. «Jetztbist du nicht mehr so neugierig, wie? Jetzt ahnst du, was dir blüht, wenn du weiter schnüffelst.» Mit einem Ruck ließ er von ihr ab. Er drehte sie wieder auf den Bauch, presste ihr Gesicht in den Schnee und sagte gleichmütig: «Denk drüber nach.»
Das Gesicht im Schnee, hörte sie, wie er sich mit stampfenden Schritten entfernte.
Dann war nur noch das Tropfen des tauenden Schnees von den Ästen zu hören. Gekrümmt blieb Adelina liegen. Noch immer spürte sie die Stellen, an denen die Hand des Mannes gewesen war. Würgende Übelkeit stieg in ihr auf. Was, wenn er noch einmal wiederkam? Doch sie konnte sich nicht rühren.
Erst als die Kälte auf ihrem Gesicht unerträglich wurde und sie spürte, wie ihre Arme und Beine taub wurden, rappelte sie sich hoch. Ihr Mantel war durchnässt, ebenso ihr Kleid. Der Weidenkorb lag neben ihr im Schnee; ein paar Tannenzapfen waren herausgekullert. Mit klammen Fingern sammelte sie sie wieder ein und fand auch ihre Tassel, die sie ebenfalls in den Korb stopfte. Dann ging sie los und war fast dankbar, dass der Schneefall sich noch verstärkte. So traf sie nur auf wenige Menschen, die der humpelnden Gestalt mit den ungeordneten Röcken neugierig hinterherblickten.
Vor der Apotheke angekommen, stellte sie fest, dass die Tür verschlossen war. Ihr Vater hatte davon gesprochen, mit Vitus zum Hafen zu gehen, um Alaun und Ingwer zu kaufen und dem Jungen die Schiffe zu zeigen. Sie suchte in den Falten ihres Kleides nach ihrem Hausschlüssel, konnte ihn jedoch nicht finden. Was, wenn nun der Medicus ebenfalls noch außer Haus war? Mit letzter Kraft hämmerte sie gegen die Tür, doch nichts rührte sich. In ihrer Kehle bildete sich ein schmerzhafterKloß. Kraftlos sank sie gegen die Tür, doch dann hörte sie das Tappen von Schritten, und der große Riegel wurde quietschend zurückgezogen.
«Du liebe Zeit!» Burka griff ihr umstandslos unter die Arme, zog sie hoch und brachte sie in die Küche. «Zieht sofort das nasse Zeug aus.»
Adelina nickte benommen und schleppte sich weiter in ihre Kammer. Dort schälte sie sich das Kleid vom Körper und zog ein trockenes Wollunterhemd über, das ihr bis zu den Waden reichte. Dann stieg sie in ihr dunkelgrünes Übergewand. Sie sammelte die nassen Sachen vom Boden auf und trug sie zurück in die Küche, um sie aufzuhängen.
«Ich habe heißen Kräuterwein aufgesetzt», erklärte der Medicus. «Ihr werdet eine Erkältung bekommen.»
Es war ihr zu anstrengend, ihm zu antworten. Sie wartete geduldig, bis er einen Becher Wein vor sie hinstellte. Die Kräuter, die er hineingemischt hatte, waren stark. Sie schmeckte Minze, Wacholder und …
«Schafgarbe?» Sie sah Burka überrascht an und nippte nochmals an der dampfenden Flüssigkeit.
«Ihr habt genug davon getrocknet. Wenn Ingwer da gewesen wäre, hätte ich auch davon noch etwas hineingetan.» Er lächelte sie an, und aus unerfindlichen Gründen meinte sie, Erleichterung in seinen Augen lesen zu können. Sie senkte den Blick wieder auf ihren Becher. Der heiße Wein verfehlte seine Wirkung nicht. Langsam strömte wieder Leben in ihre abgestorbenen Glieder.
«Ich glaube, Reese hat nichts mit den Toten im Hospital zu tun», murmelte sie, um sich von ihrem Erlebnis abzulenken. Als sie diesmal hochsah, war wieder Besorgnis in sein Gesicht zurückgekehrt. «Er hat etwaszu verbergen», sie schluckte hart. «Aber es muss etwas anderes sein. Er hat Reinhild lieb gehabt.»
«Das beweist noch nicht …»
«Er war doch allein an ihrem Grab. Er hat sie lieb gehabt», wiederholte sie stur und hielt sich an diesem Gedanken fest, damit sie nicht an den Überfall denken musste.
«Wollt Ihr mir nicht erzählen, was passiert ist?»
Adelina stand auf und holte den Korb mit den Zweigen.
«Ich muss noch das Haus schmücken, solange Vitus mir nicht im Weg ist. Danke für den Wein.» Als sie den Korbinhalt schweigend auf dem Küchentisch ausbreitete, erhob sich Burka und ging zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um, und ohne hinzusehen, wusste Adelina, dass er zornig war. Einige Augenblicke später hörte sie die Tür klappen und seine Schritte auf der Stiege. Sie blickte auf die Zweige auf dem Tisch, und plötzlich wurde ihr schlecht. Hastig drehte sie sich um, riss die Küchentür auf und rannte zum Hinterausgang hinaus in den Garten. An der Mauer neben der Abortgrube erbrach sie sich heftig. Sie hustete und
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