Tod im Beginenhaus
würgte, bis nichts mehr aus ihr herauskommen wollte. Tränen liefen ihr in Strömen übers Gesicht. Fahrig riss sie einige Schritte neben sich ein Büschel Sauerampfer aus, der seine Blätter aus der Schneedecke herausstreckte, und wischte sich damit über den Mund. Dann wankte sie ins Haus zurück. An der Tür zu ihrer Kammer blieb sie stehen und versuchte, sich zu beruhigen, doch die Tränen wollten nicht aufhören zu fließen. Alles an ihr fühlte sich kalt und unrein an. So hatte sie sich schon einmal in ihrem Leben gefühlt. Mit einem unterdrückten Schluchzen stürzte siein ihre Kammer, warf sich auf das Bett und wurde von einem Weinkrampf geschüttelt.
Es dauerte lange, bis sie so weit war, aufzustehen und sich der Welt und dem Weihnachtsschmuck in der Küche zu stellen.
***
Der Sonntag war für Adelina normalerweise ein willkommener Tag. Nach der Messe bereitete sie ihrer Familie ein gutes Mahl, und danach konnte sie gewöhnlich ein paar Stunden für sich selbst erübrigen. Doch diesmal war sie nicht einmal in der Lage, einen kurzen Spaziergang zu machen. Die Erkältung fesselte sie ans Haus. Hustend und schniefend verkroch sie sich nach dem Kirchgang in ihrer Kammer. Sie hörte Vitus maulen, weil es nur Brot und Äpfel gab. Albert schimpfte mit ihm, jedoch mehr aus Besorgnis um seine Tochter als aus Zorn. Adelina war selten krank, und falls doch, wurde rasch deutlich, dass allein sie es war, die den Haushalt im Griff hatte. Vitus quengelte unbeirrt weiter, und Adelina zog sich die Decke über den Kopf. Bestimmt zerkrümelte er seinen Kanten Brot jetzt, anstatt ihn zu essen. Er war stur, das lag in der Familie. Wieder hörte sie die ungehaltene Stimme ihres Vaters und dann die besänftigende des Medicus. Wann war er nach Hause gekommen? Nach der Kirche hatte sie ihn aus den Augen verloren. Sie hustete und streckte den Kopf wieder unter der Decke hervor. Burka schlug gerade vor, etwas Essbares aus der Garküche zu holen. Sie seufzte dankbar. Vielleicht bekam sie dann endlich ein bisschen Ruhe.
An Schlaf war freilich nicht zu denken, obwohl das Grübeln ihr Kopfschmerzen verursachte. Doch die Gedankenließen sich nicht abstellen. Seit Tagen gab es keinen Todesfall mehr im Hospital, jedenfalls hatte sie nichts dergleichen gehört. Allerdings war sie auch schon ungewöhnlich lange nicht mehr dort gewesen, jetzt, wo man sie nicht mehr einließ. War es möglich, dass Irmingard und die Grande Dame es verschweigen würden, wenn noch jemand starb, um so das Hospital vor der Schließung zu retten? Die Grande Dame Brigitta, Oberste der Beginenhöfe in Köln, hatte zwar große Macht, doch ein solches Vorgehen konnte sie gewiss nicht verantworten. Die Kirche hatte ein wachsames Auge auf die Beginen, die ja keinem Orden unterstanden und schon oft mit scheelem Blick ketzerischer Umtriebe verdächtigt worden waren. Doch der Stadtrat hielt, anders als in anderen Städten, seine schützende Hand über diese Gemeinschaft frommer Frauen, denn im Gegensatz zu den Klöstern verlangten die Beginen nicht das Armutsgelübde. Viele der Frauen waren vermögend und kamen aus mächtigen Familien. Deshalb sahen sie es zwar als ihr Recht an, sich in alle Belange der Stadt einzumischen, die mit ihrem Besitz zu tun hatten, aber der Rat duldete es, waren die Beginen doch in vielen gewerblichen Bereichen tätig, die der Stadt und dem Handel zugute kamen. Sie woben ein feines Leinen, das weit über die Stadtgrenzen hinaus gerühmt wurde, ebenso wie ihre Schneidereien, und die Goldweber hatten sich schon oft bei der Zunft über die Konkurrenz beschwert.
Ein Niesanfall riss Adelina aus ihren Gedankengängen. Ärgerlich wischte sie ihre Nase am Ärmel ab und drehte sich auf den Rücken. An der Zimmerdecke krabbelte eine kleine Spinne, wohl auf der Suche nach einem geeigneten Platz für ihr Netz. Adelina folgte ihr mit den Augen bis hinüber in die Ecke über der Tür.Ihr Kopf fühlte sich heiß an. Hoffentlich bekam sie kein allzu hohes Fieber.
Anscheinend war sie doch für einige Zeit eingenickt, denn sie schreckte hoch, als auf dem Gang Stimmen laut wurden. Burka war zurück und brachte das versprochene Essen mit. Den Geräuschen nach zu urteilen, war Vitus der Erste, der sich darauf stürzte. Wenig später hörte sie erneut jemanden das Haus betreten. Adelina seufzte und hielt sich den Kopf. Es schien unmöglich, heute zur Ruhe zu kommen. Trotzdem lauschte sie. Eine der Stimmen gehörte Magister Arnoldus. Kam er wegen des Kräuterbuchs?
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