Tod im Beginenhaus
Manche jammerten nur still vor sich hin.
Zwischen den Betten lagen verfilzte Strohfetzen, Essensreste und umgestürzte Nachttöpfe. Irmingard hatte mehr Pflegerinnen als sonst in das Hospital gerufen,dennoch fand keine von ihnen die Zeit, etwas gegen den Schmutz zu unternehmen. Burka ging zu einem Mann hinüber, der seine Knie fest mit den Armen umschlungen hatte und sich schluchzend hin und her wiegte. Irmingard und Adelina folgten ihm.
«Es ist hier mittlerweile schlimmer als in den städtischen Hospitälern. Wir schaffen es schon seit einigen Tagen nicht mehr, den Schmutz zu beseitigen.» «Ihr hättet früher nach mir schicken sollen.» Burka beugte sich über den alten Mann, um ihn nach seinem Namen zu fragen. Ein unverständlicher Singsang war die Antwort.
Adelina wandte sich ab und bahnte sich einen Weg zwischen den Strohbetten hindurch, ohne darauf zu achten, ob ihr gutes Kleid dabei verdorben wurde. Hinter dem Wandschirm bot sich ihr der gleiche jämmerliche Anblick. Schmutz, Gestank und heulende Frauen, die sich wie Fische auf dem Trockenen in ihren Betten wanden oder aber mit totenstarren Gesichtern ins Nichts starrten. Adelina suchte mit den Augen die Reihen nach einem bestimmten Bett ab.
«Wo ist …»
«Hexen!», schrie plötzlich neben ihr ein zerlumptes Weib und klammerte sich an Adelinas Rock. «Ich sehe sie! Hexen und böse Geister überall», kreischte sie. «Du bist auch eine, genau wie die anderen. Ich sehe alles. Der Teufel! Der Teufel!» Sie hustete und zerrte an dem Rock, dass Adelina fast das Gleichgewicht verlor. Sie versuchte, sich ihr zu entwinden, doch die Frau heulte immer lauter. Ein junges Mädchen kam ihr schließlich zu Hilfe und packte das Weib bei den Handgelenken.
«Teufel, Teufel, da!», brüllte jetzt auch eine andereFrau und deutete mit zitternder Hand auf die Fenster. «Sie wollen uns holen!» Heulend und keuchend drehte sie sich von einer Seite auf die andere und versuchte aufzustehen, doch eines ihrer Beine schien gelähmt zu sein. Adelina gelang es endlich, sich aus der Umklammerung des Lumpenweibs zu befreien.
«Verzeiht.» Die junge Frau schob sie ein Stück in Richtung Wand. «Sie führen sich schon die ganze Zeit auf, als seien sie vom Teufel besessen.» Hastig bekreuzigte sie sich. «Ihr seid Adelina Merten, nicht wahr? Die Tochter des Apothekers? Mein Name ist Gertelotte.»
«Wann haben sie angefangen, so zu phantasieren?»
Gertelotte blickte sich im Raum um und zuckte mit den Schultern.
«Gestern, vorgestern. Manche hören auch zwischendurch damit auf und werden wieder ganz normal. Ich meine …» Verlegen schwieg sie. Kaum eine der Frauen war vor dem Ausbruch der Krankheit normal gewesen.
«Wo ist Vincentia?»
«Das kleine Mädchen? Wir haben sie mit ein paar Frauen nach oben in einen anderen Raum gebracht. Die ganze Nacht hindurch haben sie geschrien. Sie sind noch schlimmer dran als die hier unten. Vater Simeon ist mit ein paar Schwestern oben, um herauszufinden, ob sie nur krank oder tatsächlich besessen sind.»
«Besessen? Um Himmels willen.» Adelina wurde ganz kalt, als sie an das kleine Mädchen dachte. Sie bedankte sich bei Gertelotte und ging wieder zurück auf die andere Seite des Wandschirms. Burka kam ihr entgegen. Seine Miene drückte äußerste Besorgnis aus. Ohne ein Wort zu sagen, fasste er sie an der Hand und zog sie mit sich zu einem Bett am Fenster.
«Benedikt!» Sie ging neben dem Strohbett in die Hockeund griff nach der Hand des jungen Mannes. Sie fühlte sich kalt und feucht an. Er hatte die Augen geschlossen, aber bei ihrer Berührung zuckten seine Lider. Er sah sie mit glasigem Blick an.
«Adelina, wie schön.» Es war mehr ein Röcheln als eine menschliche Stimme. Benedikt verzog kläglich das Gesicht. «Seid Ihr es auch wirklich? Ich sehe dauernd so schreckliche Gestalten und weiß nicht, ob ich wache oder träume.» Er bemühte sich hochzukommen, sank aber nach einigen vergeblichen Versuchen wieder in sein Kissen zurück.
Adelina hob den Kopf und sah Burka an, der mit verschränkten Armen neben ihr stand.
«Könnt Ihr ihm helfen? Oder den anderen?»
«Sind es die gleichen Anzeichen?»
Sie erhob sich vorsichtig.
«Lähmungen und Krämpfe. Manche erbrechen auch. Es scheint …»
«Sind es die gleichen Anzeichen, ja oder nein?»
Erstaunt hob sie die Brauen.
«Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht … ja.»
«Vielleicht?»
«Es ist … sie haben Wahnvorstellungen. Die anderen hatten keine, glaube ich. Und sie sind
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