Tod im Dünengras
noch einmal hervor, ehe er sie wieder in einen seiner Gummistiefel
steckte, die so hoch waren, dass die Flasche komplett darin verschwand. »Einen
Köm noch, Signora! Dann wirdâs Zeit, dass wir ins Bett kommen.«
Als Erik den Wagen vor seinem Haus zum Stehen brachte, sah
er die Bewegung hinter dem Küchenfenster. Seine Schwiegermutter hatte also
schon nach der entfernten Verwandten Ausschau gehalten â¦
Schon wurde die Haustür aufgerissen, und Mamma Carlotta lief auf das
Auto zu, dem Giovanna sich gerade entwand, so gut das mit ihrer engen Hose
möglich war. Ein zweistimmiger Schrei erschütterte den Süder Wung. Frau
Kemmertöns, die Nachbarin, sah erschrocken über die Hecke, anscheinend glaubte
sie an einen Unglücksfall. Aber als sie die vielen italienischen Wörter hörte,
zog sie sich beruhigt wieder zurück. Seit Mamma Carlotta regelmäÃig nach Sylt
kam, hatte sie sich daran gewöhnt, dass bei den Wolfs manchmal so laut geredet
wurde, als litte mindestens ein Familienmitglied unter starker Schwerhörigkeit.
Mittlerweile war im Nachbarhaus auch hinreichend bekannt, dass Italiener, wenn
sie sich freuten, in ein Geschrei ausbrachen, das Frau Kemmertöns in ihrem
Leben nur einmal über die Lippen gekommen war, nämlich als ihr Küchenherd in
Flammen stand. Und seit bei den Wolfs häufig gesungen wurde, wunderte Frau
Kemmertöns sowieso nichts mehr. Sie hatte sich längst wieder ins Haus verzogen,
als Carlotta und Giovanna mit ihrer BegrüÃung fertig waren und sich ausgiebig
versichert hatten, wie sehr sie sich freuten und wie gut die andere sich
gehalten hätte.
»Wie vorteilhaft du dich verändert hast!« Giovanna betrachtete Mamma
Carlotta anerkennend. »Deine Frisur, deine Kleidung! Und schlanker bist du auch
geworden!« Sie schien sich zu fragen, ob Carlottas Verwandlung in Zusammenhang
mit ihrer Witwenschaft stand, war dann aber taktvoll genug, diese Frage nicht
auszusprechen.
Erik betrat hinter den beiden Frauen das Haus. Er hatte noch vollauf
mit Giovannas Koffer zu tun, den er gerade erst über die Türschwelle gewuchtet
hatte, als sein Handy klingelte.
»Sören? Haben Sie im Gogärtchen jemanden erreicht?«
»Die öffnen zwar erst um eins«, gab Sören zurück, »aber ich habe den
Besitzer erwischt. Leider kann er sich nicht an Giulio Alviso und Lorenzo
Follini erinnern. Jedenfalls nicht sicher. Er sagt, dass mehrere Männer in der
vergangenen Nacht im Gogärtchen waren, auf die die Beschreibung passt. Aber bei
keinem von ihnen kann er sagen, wann er gekommen und wann er gegangen ist.
Geschweige denn, dass er ihre Namen kennen würde.«
»Wäre ja auch zu schön gewesen«, brummte Erik.
»Er will aber später seine Kellner fragen.«
»Warum nicht gleich?«
»Weil die erst vor ein paar Stunden ins Bett gekommen sind. Ich
kümmere mich später darum.«
»Dann schlage ich vor, dass wir uns in der Muschel II treffen. Susanna Larsen ist die einzige,
die Francesco gut gekannt hat. AuÃer seiner Tante natürlich, die gerade
angekommen ist.«
»Hat sie Francesco identifiziert?«
»Eindeutig.« Erik lauschte auf Giovannas Stimme, sie hatte sich
offenbar von ihrem Entsetzen erholt. Jedenfalls erzählte sie zurzeit nur von
Dr. Hillmots schrecklichem Beruf und von ihrer Vermutung, dass das Ãbergewicht
des Pathologen ganz sicher eine Folge seines kontaktarmen Berufslebens sei. Als
Gynäkologe, so vermutete Giovanna gerade, wäre er vermutlich ein ganz
schnuckeliger Typ geworden.
Erik räusperte sich umständlich. »Wir sollten noch mal mit Susanna
Larsen reden. Und mit Arne Ingwersen auch. Vielleicht gibt er nun doch zu, dass
er von Francesco erpresst wurde. Und womöglich kann er uns etwas erzählen, was
uns weiterhilft.«
»Etwas, was sein Vater uns nicht sagen kann?«
»Den möchte ich nicht noch einmal belästigen.«
»Interessant wäre auch«, meinte Sören, »ob Vera Ingwersen etwas von
den Erpressungen gewusst hat.«
»Als Täterin kommt sie nicht in Betracht. Francesco muss sich mit
jemandem getroffen haben, den er gut kannte.«
»Und die SchuhgröÃe passt sowieso nicht. Wir suchen auf jeden Fall
einen Mann.« Sören lachte leise. »Sie kennen doch sicherlich Arne Ingwersens
SchuhgröÃe?«
Erik stöhnte auf und ging in die Küche, wo die Espressomaschine
dampfte
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