Tod im Ebbelwei-Express (German Edition)
auch gar nicht finden. Waren es die Wassertrinker?“ Er war einer Intuition gefolgt.
„Woher soll ich das denn wissen? Ich war ja gleich ohnmächtig. Das heißt, einen habe ich wohl gesehen, aber der hatte so eine blöde Mütze auf, wie sie die jungen Leute heutzutage tragen. Ohne Bommel.“
„Ohne Bommel?“ rutschte es Herrn Schweitzer heraus, denn mit derart schwachsinnigen Fragen leistete er Berthas merkwürdigen Ausführungen nur Vorschub.
„Natürlich ohne Bommel. Wann hast du denn das letzte Mal jemanden mit Bommel gesehen? Muß doch zwanzig Jahre oder noch mehr her sein.“
Und tatsächlich, Herr Schweitzer dachte über Bommelmützen nach.
„Außerdem war’s dunkel, so wie jetzt“, unterbrach die Wirtin Herrn Schweitzers theoretische Untersuchungen darüber, wann wohl die Bommel von der Mütze getrennt worden war.
„Dann setz ich mich jetzt auch mal hin“, erklärte Weizenwetter, „das kann ja hier noch länger dauern.“ Darüber war er keineswegs betrübt, denn er war für sein Leben gern in Gesellschaft. Ohne würde er zugrunde gehen.
„Aber“, fuhr Bertha fort, „jung waren sie.“
„Sie? Es waren also mehrere?“ forschte Herr Schweitzer, denn nun kam man der Sache schon näher.
„Genau. Zwei habe ich weglaufen sehen“, dozierte Weizenwetter gewichtig.
„Du? Ich denke, du warst pinkeln.“
„Da war ich schon fertig. War gerade am Abschütteln.“
„Am Ab…“ Herr Schweitzer unterbrach sich, manche Details waren dann doch eher unwichtig.
Nun war die Reihe wieder an Bertha: „Wie kommst du drauf, daß es die Wassertrinker waren?“
„Semmler meint, die könnten von der Mafia sein.“ Nun war die Katze aus dem Sack. Herr Schweitzer hatte ein ungutes Gefühl, als er das Wort Mafia benutzte. Nicht, weil er etwa Angst gehabt hätte, sondern weil es so schwer war, diese Organisation in einen logischen Zusammenhang mit Sachsenhausen zu bringen.
En passant erwiderte daraufhin Bertha, geradeso, als gäbe es nichts Natürlicheres auf dem Erdenrund: „Logo war’s die Mafia. Wollten vorgestern von mir Schutzgeld erpressen. Aber eins kann ich dir flüstern: Denen hab ich aber ganz schön den Marsch geblasen.“
Hätte Herr Schweitzer in dem Moment ein, sagen wir mal Bierglas, in den Händen gehalten, er hätte es mit Sicherheit fallen lassen. So blieb ihm als Ausdruck der Fassungslosigkeit nur die Sprachlosigkeit. Aber derer bediente er sich ausgiebig. Mehr als eine Minute verstrich, dann hatte er die Tragweite in ihrem gesamten Ausmaß erfaßt.
Offenbar hatte auch Weizenwetter aufgepaßt. „Die Mafia?“ fragte er mit brüchiger Stimme. Hilflos blickte er sich um, als gäbe es die Möglichkeit, daß irgendwo ein Weizenbier herrenlos herumsteht. Das war natürlich nicht der Fall.
„Ich nehme an, daß es die Mafia war. Wer erpreßt denn sonst noch Schutzgelder? Das sollen sie gefälligst bei ihren Landsleuten machen, die sind wenigstens vertraut mit dieser Tradition. Und wenn die mir noch mal blöd kommen, dann setzt’s richtig was, darauf kannst du einen lassen.“
„Genau Bertha. Ich bin auf deiner Seite“, erklärte Weizenwetter feierlich, der, wenn er betrunken war, eine innige Affinität zu allem, was auch nur entfernt mit Pathos zu tun hatte, verspürte.
„Und wie sahen die Typen aus?“ Herrn Schweitzers detektivischer Spürsinn war geweckt.
„Das war nur einer. Und der sah genau so aus wie in den Filmen. Man kann sie gar nicht voneinander unterscheiden. Klein, Anzug, Schnauzer, schwarze Haare mit viel, viel Haargel.“
„Und der ist einfach so bei dir in den Laden geschneit, hat sich vorgestellt und gesagt, wieviel Geld er im Monat von dir will, damit er aus dem Weinfaß so Leute wie die Wassertrinker, die kaum was verzehren, fernhält.“
„Bist du auch von der Mafia? Hätte ich jetzt nicht gedacht. Für mich warst du immer so eine Art Hippie.“
Herr Schweitzer war nahe, ganz nahe am Verzweifeln. Ein Nervenzusammenbruch kam wegen seiner robusten, durch viele Spaziergänge gestählten Gesundheit nicht in Frage. Außerdem lagen ihm diese doch eher femininen Krankheitsgeschichten nicht. Nichtsdestotrotz hatte ihn Bertha gehörig durcheinandergebracht.
„Ein Hippie? Ich?“ Herr Schweitzer sah an sich herunter, ob er irgendwo ein verborgenes Peace-Zeichen übersehen hatte. Aber da war nichts. Nicht einmal eine Martin-Luther-Gedächtnis-Nadel zierte sein Revers. In dem Fall wäre es auch egal gewesen, welcher Martin Luther gemeint war. Der eine wie der
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