Tod im Ebbelwei-Express (German Edition)
automatisch hört der Mensch mit halbem Ohr der Tischnachbarn Gespräche mit. Und da hatten Maria und Herr Schweitzer heute eine ausgemachte Niete gezogen. Ein Maler in Arbeitsmontur erzählte seinen jüngeren Kollegen großspurig darüber, wie er, der Held, es dem Meister letztens aber mal so richtig gezeigt habe. Wollte der ihm doch in der Osterwoche den gewünschten Urlaub verweigern. Da habe er, der Held, aber ganz schön starke Geschütze auffahren müssen. Er habe dem Meister, Müller wohl mit Namen, mal ernsthaft verklickern müssen, wer den Laden eigentlich in dessen Abwesenheit schmeiße. Das sei nämlich nicht sein Partner, nein, dieser habe überhaupt keine Ahnung, wie der Hase läuft. Stimmt’s? Hab ich nicht recht? Und wenn er, der Held, nicht wäre, hätte die Firma überhaupt schon längst pleite gemacht. Stimmt doch, oder? Natürlich bekam er von den anderen die Bestätigung, die er haben wollte, standen sie in der Firmenhierachie doch unter ihm. Sie taten Herrn Schweitzer leid.
Maria schaute sich um, ob nicht irgendwo anders noch zwei Plätze frei waren, doch ebenso wie Herr Schweitzer zuvor, wurde sie nicht fündig. So ergab man sich seinem Schicksal und versuchte trotz der lächerlichen Selbstdarstellung von nebenan das Essen und den Apfelwein zu genießen.
Sie hatten noch nicht zu Ende gespeist, da wandte sich das Blatt zu ihren Gunsten. Der Maler, ohne den nichts lief auf der Welt, bezahlte und ging. Dessen Kollegen blieben und unterhielten sich fortan wie befreit. Maria lächelte ihren Traummann an. Sie waren ein Herz und eine Seele.
Maria war heute abend wie aufgedreht. Erst jetzt, da die Verlage angeschrieben waren, begann für sie das Abenteuer Literatur. Und Herr Schweitzer, den die Muse noch nie geküßt hatte, nahm daran teil, wie er nur konnte. Manchmal etwas ungelenk wie Männer halt so sind, aber das machte ihn in Marias Augen nur umso liebenswerter.
Einige Zeit später, als das Gros der Gäste gesättigt sich der Geselligkeit und dem Apfelwein überließ, kam unerwartet Semmler an den Tisch, nun, da auch die übrigen Maler das Feld geräumt hatten. Er redete auch sofort los, ohne daß Herr Schweitzer die Chance gehabt hätte, um Marias willen vom Thema abzulenken. „Schön, daß ihr hier seid. Ich bin mittlerweile ziemlich sicher, daß es die Mafia ist.“
Besorgt warf Herr Schweitzer einen Seitenblick auf seine Liebste, doch der Ausdruck ihrer Gesichtszüge verriet allenfalls mäßiges Interesse. Das wiederum verwunderte Herrn Schweitzer, hatte man doch nicht alle Tage Schurken dieses Kalibers am Hals. Höflich aber bestimmt ignorierte er Marias Ignoranz und sagte: „Ich auch. Bei Bertha wollten sie auch schon abkassieren.“
Spätestens jetzt hätte Herr Schweitzer einen Rüffel dahingehend erwartet, warum er sie denn nicht eingeweiht habe. Doch Maria sagte bloß: „Das ist fein, da habe ich ja gleich Stoff für meinen nächsten Krimi.“
Nun machte Semmler große, staunende Augen. „Du schreibst?“
Sie schwankte zwischen Stolz und unangenehm berührt. „So ein bißchen.“
Semmler war unsicher, welches Thema er jetzt weiter verfolgen sollte.
Herr Schweitzer erlöste ihn: „Was hast du inzwischen rausbekommen?“
„Allerhand, sag ich euch, allerhand.“ Semmler sah sich besorgt um, dann fuhr er flüsternd fort: „Ich bin mir fast sicher, Günther zahlt. Zufällig habe ich ihn gestern beobachten können, wie er so einem schmierigen Typen verstohlen einen Briefumschlag übergab und außerdem zittern seine Hände in letzter Zeit mehr als gesund sein kann. Seitdem waren die Wassertrinker auch nicht mehr da. Und übrigens kursieren momentan Gerüchte, daß der Wirt von der Kladde auch zahlt. Okay, es wird zwar viel geredet in Sachsenhausen, aber wenn du mich fragst, spitzt sich die Lage zu.“
Maria konnte sich kaum einkriegen: „Das klingt ja ungeheuer spannend. Die Mafia in Sachsenhausen. Weiß man denn schon, wer genau dahinter steckt?“
„Wie? Wer genau?“ fragte Semmler.
„Na ja, da gibt es zum Beispiel die Cosa Nostra, die Camorra, die Russenmafia undsoweiter.“
„Das schon, aber …“ Semmler wußte nicht weiter. Als Übersprungshandlung streichelte er seine Glatze.
Herrn Schweitzer fiel der Leitsatz des in Frankfurt geborenen Philosophen Theodor Wiesengrund Adorno ein, der besagte, daß der Mensch nicht aus dem Kreislauf von Gewalt und Unterdrükkung herauskönne, und er mußte sich unwillkürlich fragen, wie lange wohl ihr aller Leben noch in
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