Tod im Ebbelwei-Express (German Edition)
sich an die Stirn. Trotzdem wendeten sie das Fahrzeug am Museumsufer und rauschten mit eingeschaltetem Martinshorn erst die Schweizer, dann die Textorstraße entlang.
So hatte sich mit dem Ebbelwei-Expreß erstmalig in der deutschen Kriminalhistorie eine Straßenbahn auf die Fahndungsliste gefahren.
Wer je schon mal im Ebbelwei-Expreß mitgefahren ist, weiß, wie die Sitze angeordnet sind, zwei Parteien à drei Personen konnten sich nicht einfach so gegenübersitzen, ohne sich auf der Pelle zu hängen. Auf der einen Seite befanden sich die Einzel- und auf der anderen die Doppelsitzreihen. Die Russen, welche ja zuerst eingestiegen waren, hockten zu dritt in Fahrtrichtung rechts auf zwei hölzernen Doppelbänken. Auf diese Weise wirkte die Gruppe in sich kompakter als die Italiener, von denen einer zwangsläufig etwas abseits sitzen mußte.
Schon kurz nachdem Bertha die Gäste an Bord willkommen geheißen hatte, war klar, daß Russen und Italiener sich im Kriegszustand befanden. Selbst beim besten Willen konnte die Frage, welche der beiden Gruppierungen am furchterregensten dreinschaute, nicht oder nur unzureichend beantwortet werden. Alle drei Osteuropäer warfen mannhafte Bürstenhaarschnitte und Muskelberge in die Waagschale, indes die Italiener mit den obligatorischen Sonnenbrillen, Pomadenhaar und teuren Zweireihern glänzten. Rein martialisch betrachtet lagen die Vorteile sicherlich auf russischer Seite, gab es dort ja in letzter Zeit noch reichlich kleine Scharmützel, Aufstände und Kriege, in denen man sein Mütchen kühlen konnte, die Kenntnisse auf dem Abschlachtungssektor waren also noch recht frisch. Andererseits sprach die Tradition eindeutig für die Italiener. Was Organisation und grenzüberschreitende Logistik anging, konnten sie auf reichlich Erfahrungswerte zurückgreifen. Hätte man auf eine der beiden Mafias wetten müssen, man stünde vor einem veritablen Problem. Die Luft knisterte vor Elektrizität. Es war genau die Art von Spannung, wie sie sich René und Herr Schweitzer gewünscht hatten. Der Ebbelwei-Expreß war das reinste Pulverfaß.
Gleich zu Beginn hatte Bertha mit ein paar einleitenden Worten darauf hingewiesen, daß dies hier ein friedliches Tête-àtête sei und man doch wie erwachsene Menschen darüber reden könne, wie man das mit den Schutzgeldzahlungen denn künftig handhaben wolle. Bestimmt würden sie auch einsehen, hatte sie zu verstehen gegeben, daß der augenblickliche Zustand nicht länger tragbar sei. Solch eine finanzielle Belastung wie momentan könne die Vereinigung Sachsenhäuser Wirte, als deren Sprecherin sie hier auftrete, auf Dauer nicht verkraften, man stoße da unweigerlich an seine Grenzen.
Das Problem bei der Sache war, und das hatte vorher keiner so recht bedacht, daß Berthas Schulbildung betreffs des Englischen alles andere als gründlich war, und die beiden Chefunterhändler sich in ebendieser Sprache verständigten. Außer Yes und No verstand sie kein einziges Wort. Besonders heikel wurde die Angelegenheit, als zwischen den Stationen Südbahnhof und Textorstraße die Stimmen dergestalt laut, schrill und agressiv wurden, daß ein verfrühtes Feuergefecht nicht mehr ausgeschlossen werden konnte – einer der Italiener hatte sich sogar schon erhoben. Hier war Bertha mit einem teils begütigenden, teils energischen „Pscht, pscht, pscht“ zur Entschärfung der Situation eingeschritten. An der letzten Station vor der Ignatz-Bubis-Brücke, dem geplanten Tatort, stand Maria von der Heide und drückte Herrn Schweitzer links die Daumen und mit rechts formte sie das international anerkannte Victory-Piktogramm. Herrn Schweitzers Herz hüpfte bei ihrem Anblick. Er revanchierte sich mit einem angedeuteten Kuß. Alles wird gut, Schatz.
Hätte die Streifenwagenbesatzung auch nur eine Sekunde nachgedacht, hätte sie den flüchtigen Ebbelwei-Expreß exakt an dieser Station gestellt, und der Handlungsablauf wäre ein völlig anderer gewesen. Die Schienenwege trennten sich nämlich am Lokalbahnhof, eine Strecke führte nach Hibbdebach, die andere nach Offenbach. Was sollte ein auch nur im Ansatz vernünftiger Ebbelwei-Expreß in Offenbach wollen können? Kein bei Sinnen seiender Frankfurter fährt freiwillig dorthin, es sei denn, er ist ein hartgesottener Missionar, der wirklich vor überhaupt nichts mehr zurückschreckt. Die einzige halbwegs nachvollziehbare Erklärung wäre gewesen, ein Offenbacher habe den Ebbelwei-Expreß entführt und wolle nun in diese triste
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