Tod im Ebbelwei-Express (German Edition)
Ansiedlung endlich mal einen Farbtupfer setzen. Oder Kultur verbreiten. Oder einfach nur Apfelwein trinken. Doch selbst dann wäre an der Stadtgrenze Schluß gewesen. In Offenbach hat’s nämlich nicht mal Gleise. Und ohne Gleise ist selbst ein waschechter Frankfurter Ebbelwei-Expreß aufgeschmissen. Das Polizeiauto fuhr also Richtung Offenbach, warum auch immer. Einzig und allein der Streifenwagenbesatzung völligen Weltfremdheit war es also zu verdanken, daß geschah, was geschah.
Die Ignatz-Bubis-Brücke war frei von Fußvolk. Herr Schweitzer bremste. Der Ebbelwei-Expreß kam auf dem höchsten Punkt zum Stehen. Herrn Schweitzers Auftrag war beendet, er hatte sein Scherflein beigetragen. Bedächtig zog er sich die Dienstjacke über und schnappte sich seinen Pullover. Ihm blieb nichts anderes als zu warten, bis Bertha ihre letzte Aufgabe würde erledigt haben.
Doch die Wirtin hatte ihren Text vergessen. „Ich geh mal kurz nach vorne, ein paar Getränke holen. Ihr seid doch sicher alle durstig? Ist ja auch verdammt heiß heute, gelle?“ hatte sie vor nunmehr dreißig Sekunden gesagt. An den Rest aber konnte sie sich nicht mehr erinnern, dabei wäre es so wichtig gewesen. Die Idee stammte von Herrn Schweitzer. Der Satz hätte an die Italiener gerichtet und auch von den Russen gehört werden sollen: „Why did you kill Fjodor Alenichev?“ Das wäre das Sahnehäubchen gewesen, damit hätte man sozusagen auf das Pulverfaß noch etwas Nitroglyzerin gegossen. Fieberhaft suchte Bertha nach den verlorenen Worten. Die Zeit drängte. Bald würden die Mafiosi Verdacht schöpfen. Sie konzentrierte sich wie es nur irgend ging. Aber es war nichts zu machen, der Satz war endgültig verloren. Als einzige Alternative blieb das Hochdeutsche. Bertha riß sich zusammen und schleuderte es den Italienern entgegen: „Warum habt ihr eischen … eischen … eigentlich Fjodor Alenichev erschossen?“ Dabei war der Russe letzte Nacht mit Drogen und besagter Liste in den Taschen hilflos aber lebendig von der Polizei aufgefunden worden.
Als der Satz raus war, entfernte sich Bertha majestätischen Schrittes und entstieg dem Ebbelwei-Expreß. Das war das Zeichen für einen von René gedungenen Scharfschützen, der sich in einem präparierten VW-Bus am Ufer vor der Jugendherberge verborgen hielt, einen Schuß abzufeuern. Die Vorgabe lautete, niemanden zu töten, lediglich eine Fensterscheibe der Straßenbahn sollte zu Bruch gehen, der Rest ergebe sich dann von ganz alleine.
Keiner der anwesenden Italiener konnte mit dem Namen Fjodor Alenichev etwas anfangen. Klar, man hatte in seiner Karriere schon so manchen um die Ecke gebracht, da war es schier unmöglich, sich alle zu merken, aber Fjodor Alenichev, an einen solch außergewöhnlichen Namen hätte man sich doch bestimmt erinnert. Ratlos schauten die Italiener zu den Russen, die nun jedoch alles andere als ratlos wirkten. Ihnen ging sogar ein Licht auf. Unser guter alter Fjodor, sososo, von den scheiß Itakern abgeschlachtet, na so was aber auch. Für einen kurzen Moment stand die Erde still.
Es hätte des Scharfschützen gar nicht bedurft, denn noch während dessen Kugel durch die Luft zischte, hatten die Russen ihre Waffen bereits gezückt. Wer sich im Fußball ein klein wenig auskennt, der weiß von der italienischen Taktik namens Catenaccio – italienisch: Riegel; der argentinische Trainer Helenio Herrera gilt als Vater dieser Spielweise, mit der er als Coach von Inter Mailand drei Meistertitel, zwei Europa- sowie zwei Weltpokale einheimste – aus einer gesicherten Defensive heraus blitzschnell und tödlich kontern. Diese Methode wurde nun im Ebbelwei-Expreß angewandt, bloß daß statt mit Füßen mit Pistolen geschossen wurde. Viele Kugeln wurden abgefeuert. Blut der Blutgruppen A, AB und 0 spritzte durch die Gegend. Glas splitterte. Das Ende vom Lied waren zwei Tote, je einer auf beiden Seiten, ein zerschmettertes Kniegelenk und ein russisches Auge, das nie mehr sehen sollte, sowie ein Hoden- als auch ein nicht ganz tödlicher Kopfschuß, bei dem die Kugel erst nach Wochen stabilisierender Begleitmaßnahmen operativ entfernt werden konnte, auf italienischer Seite. Kraft dieser zielgerichteten, wirkungsvollen Herangehensweise herrschte im Waggon alsbald eine friedliche, friedhöfische Ruhe. Doof nur, daß der Ebbelwei-Expreß nun abermals den Weg zum Restaurator antreten mußte.
Noch während hinter ihm das kurze aber effektive Rumgeballere im Gange war, eine entgegenkommende
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