Tod im Jungfernturm
Auf der anderen Seite konnte man es als öffentliches Schauspiel betrachten. Vega hatte sich an einem Stand nebenan niedergelassen und sprach mit einer Bekannten über die Schwierigkeit, Wolle zu einem anständigen Preis zu bekommen. Maria beschloß zu bleiben. Hartman feilschte währenddessen um eine Lampe aus einer Schweinsblase, und so blieb Maria allein im Halbschatten beim Zelt der Seherin zurück.
»Heben Sie ab.« Birgitta wurden die Tarotkarten gereicht, und sie hob gehorsam ab. Die Seherin deckte die Karten auf, aber nicht in einem Stern, wie Maria erwartet hatte, sondern in Reihen. »Ich beginne dennoch in der Vergangenheit. In einem früheren Leben wart Ihr Hofdame bei Königin Viktoria. Ich sehe Euch in einem hellblauen Seidenkleid. Ihr singt. Ihr wart auch Soldat und seid bei einem Sturm auf der Ostsee ertrunken. Habt Ihr Angst vor Wasser?« Birgitta schüttelte den Kopf.
»Angst vor dem Ertrinken?«
»Nein, viel mehr Angst habe ich davor, eingeschlossen zu werden und langsam zu ersticken.«
»In einem dunklen Zimmer eingemauert zu werden?«
»Ja, ich schließe nicht mal die Toilettentür ab. Das ist ein wenig lächerlich, aber ich habe Angst, daß sie nicht mehr aufgehen könnte.«
Man merkte, daß ihr die Frage unangenehm war, und die Seherin wechselte das Thema.
»Ich sehe einen Mann. Er beschäftigt sich mit dem Vergangenen. Es gibt viele Gefühle, gemischte Gefühle. Ich sehe eine Krone aus Metall mit glitzernden Wassertropfen, ein weißes Kleid.«
»Das stimmt. Ich werde heiraten.«
Maria war nicht sonderlich beeindruckt. Da Vega das Hochzeitskleid schneiderte, hatte inzwischen sicher die halbe Insel von dem Ereignis gehört.
»Jetzt wollen wir mal sehen, was die Zukunft bereithält.«
Die Seherin drehte die beiden letzten Kartenreihen um und verstummte. Birgitta sah sie erstaunt an.
»Was siehst du?« Die Seherin schwieg. »Was siehst du? Sag doch etwas!« Birgitta versuchte zu lächeln, doch es gelang ihr nicht mal ansatzweise. »Du machst mir Angst! Hör auf! Sag etwas!«
»Da ist ein Mann, vor dem Ihr Euch in acht nehmen solltet.«
Birgitta brach in ein perlendes Kichern aus, als die Anspannung von ihr wich.
»Das sagt meine Mutter auch immer.«
»Achtet darauf, daß Ihr nach Sonnenuntergang nicht allein seid.« Die Miene der Seherin war sehr ernst.
»Ich werd’s versuchen. Ich glaube nicht, daß das schwer sein wird«, sagte Birgitta.
»Haltet Euch von Rauschgetränken fern.«
»Jetzt klingst du wie Vega. Erzähl mehr von dem Mann, vor dem ich mich in acht nehmen soll.«
»Das kann ich nicht, er verbirgt sein Gesicht.«
»Das war nicht viel für’s Geld«, sagte Birgitta und hakte Vega unter. »Sie hat mir ein wenig Angst gemacht. Aber dafür bezahlt man ja schließlich, das ist wie beim Achterbahnfahren. Dieses Kitzeln in der Magengrube ist den Preis wert.«
»Ich glaube, wir setzen uns hin, damit wir gute Plätze bekommen«, sagte Hartman. »Mit Olov werden wir nach dem Ritterspiel sprechen können, ich habe mich mit ihm am Ausgang zum Meer hin verabredet. Ein vielbeschäftigter Mann.«
»Seht, da kommt der Fürst, der in Blau. Jetzt wird er die Huldigungen des Volkes entgegennehmen. Das Turnier findet ihm zu Ehren statt.« Vega rückte ihre Nonnentracht zurecht und setzte sich. Maria hatte sich eigentlich auch mittelalterlich kleiden wollen, aber Hartman hatte sich geweigert, ohne genauer zu erklären, warum. Ab und zu schielte sie zu Vega hinüber, die sich ganz und gar in ihre Rolle einlebte, indem sie mit ihrer Banknachbarin, offenkundig die Äbtissin des Klosters Solberga, über die Bedeutung des Fastens für die Reinheit der Seele sprach. Da war keine Rede mehr von Butter und Sahne.
Jetzt wurden dem Herold die Schilde der Ritter gezeigt, und er befand sie für gut. Der erste wurde aufgerufen, und schon jagte der Ritter von der Dreifaltigkeit in voller Rüstung mit Helm und Kettenhemd unter dem Jubel der Menge in die Arena. Seinen Waffenrock und die Fahne zierte ein schwarzes, dreiblättriges Kleeblatt. Er begrüßte seinen Fürsten ehrerbietig.
»Wer von denen ist denn Olov?« fragte Maria, als fünf Ritter sich präsentiert hatten.
»Er kommt jetzt, der in Grün, der Ritter vom Goldenen Schwert. Er wird von auf Gotland stationierten Truppen gesponsert. Man sieht, wie wichtig es ist, daß die Ritter ihre Farben und ihr Wappen auf Waffenrock und Mantel tragen, denn wie sollte man sonst Freund von Feind unterscheiden können?«
»Schön, wenn es so einfach
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