Tod im Jungfernturm
ich deine Hilfe beim Abstecken. Männer lassen wir aber nicht mit rein.«
»Das ist auch gut so«, sagte Hartman, stützte den Kopf auf und nahm sich noch einen Keks. Seine Frau würde ihn sicher auf Wasser und Brot setzen, wenn er mit zehn Kilo Übergewicht nach Hause kam. Aber im Moment war sie ja nicht da, dachte er zufrieden.
»Wie schön Sie sind«, sagte Maria, als Birgitta es ganz vorsichtig geschafft hatte, sich in das Kleid mit den ganzen Stecknadeln und Heftfäden zu schlängeln. Der Schnitt war ganz einfach, aber sehr wirkungsvoll. Weiße Seide ohne Spitzen oder Volants, nur der Stoff folgte den Linien des Körpers, markierte die Taille und betonte die Oberweite.
»Halt das hier hinten mal kurz fest. Ich glaube, wir nehmen über der Hüfte einen Zentimeter weg. Und werde bloß nicht dünner. Wenn du eine Diät machst, weigere ich mich, das Kleid noch einmal umzuarbeiten, ist das klar?« Vega lief einmal herum und betrachtete Birgitta, trat dann einen halben Schritt zurück und schaute noch einmal. »Wir werden auch obenrum einen Zentimeter wegnehmen müssen. Wenn man abnimmt, dann verschwinden überall die Pölsterchen, auch da, wo man sie gern behalten würde. Ist er denn auch der Richtige?« fragte Vega und sah von ihrer Arbeit auf. Die Reaktion war nicht die erwartete.
Birgittas Gesicht wurde plötzlich ernst. Vega hielt mitten in der Bewegung inne. Birgittas Augen füllten sich mit Tränen.
»Aber mein Liebes! Liebe kleine Birgitta!« sagte Vega erschrocken.
»Ich weiß es nicht.« Birgitta starrte vor sich hin. Vega nahm ein Taschentuch, damit die Tränen nicht auf den kostbaren Stoff tropften. »Ich weiß nicht, alles ist so schnell gegangen. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Bitte sag nichts zu Mama. Ich bin vielleicht gerade nur ein bißchen durch den Wind. Ich weiß nicht, was es ist.«
20
»Seht nur, da ist sie!« Vega zog Hartman am Jackettärmel. »Ist sie nicht schön?« Maria versuchte, im Gewimmel am Strandgärdet einen Blick auf Birgitta zu erhaschen, als der Fürst mit seiner Familie, dem Hofstaat und den Leibwachen kam. Dort neben dem Herold stand sie in einem grünen, bodenlangen Kleid, das lange, helle Haar kunstvoll mit breiten, roten Bädern zusammengeflochten.
»Was für ein schönes Kleid«, sagte Maria bewundernd.
»Das habe übrigens ich genäht.« Vega reckte den Hals und stellte sich auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können.
»Ich gebe im Winterhalbjahr Kurse im Nähen von mittelalterlichen Kleidern. Sehen Sie die Bürgersfrau da hinten, mit dem roten Mantel? Sie hat ihr Kleid in meinem Kurs genäht.«
Maria wurde die Sicht von einem beleibten Mönch in brauner Kutte und einem zerlumpten Kerl mit einer Ziege im Schlepptau verstellt. Es roch nach frischgebackenem Brot und gutgewürzten Steaks, die am Spieß gebraten wurden, nach dem Rauch vom Feuer des Schmieds und gebrannten Mandeln, vermischt mit menschlichen, wenn auch nicht ausschließlich mittelalterlichen Gerüchen. Die Höker boten ihre Waren feil und versuchten einander zu übertönen, um die Aufmerksamkeit des Publikums in dem Gewirr aus Drehleiern, Dudelsäcken und Trommeln, wütenden Ausrufen und Lachen zu gewinnen. Einige junge Mädchen tanzten einen Reigen. Ein Gaukler trieb Schabernack mit einem reichen Kaufmann, der Teriak verkaufte, ein Mittel gegen die Pest und alle möglichen Krämpfe, das einundsiebzig Bestandteile enthielt, darunter Schlangenfleisch und Opium.
Mehr bekam Maria nicht mit, denn Vega hatte wieder Birgitta entdeckt. Sie stand fast neben ihnen in der Schlange vor dem Zelt der Seherin und setzte sich nun auf den Hocker vor eine Dame im grellbunten Rock. Die Spökenkiekerin streckte die Hand aus, nahm die Münze entgegen, biß hinein und steckte sie eilig in den Lederbeutel, der an ihrem Gürtel hing. An ihren Ohren und auf ihren schmalen Fingern glänzten goldene Ringe. Das rote Kopftuch machte sich gut zu ihrem dunklen Haar. Die Seherin saß eine Weile mit geschlossenen Augen da und murmelte etwas vor sich hin. Dann sah sie mit wachen, braunen Augen zu Birgitta auf.
»Was wollt Ihr wissen?«
»Das Vergangene kenne ich bereits, die Gegenwart ebenso. Sagt mir was von meiner Zukunft.« Birgitta lachte, und ihre weißen Zähne strahlten in dem braungebrannten Gesicht. Maria wußte nicht, ob sie gehen oder bleiben sollte, denn irgendwie kam ihr das doch ziemlich privat vor. Zumindest, wenn man für einen Augenblick an die Wahrheiten glaubte, die hier offenbart werden sollten.
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