Tod im Jungfernturm
geht«, sagte Maria mit einem Lächeln.
»Jetzt wählen sie ihre Damen aus. Das ist auch immer ganz spannend.«
Vega applaudierte dem Ritter von den Zwei Pfeilen, der soeben seine Jungfrau erwählt hatte. »Das ist auch in Wirklichkeit seine Frau.«
»Da hat sie aber verdammtes Glück gehabt, daß er gerade sie ausgewählt hat«, brummelte Hartman. Die junge Frau wurde nun vom Knappen des Ritters begleitet, als sie ihren Ehrenplatz an der Seite des Fürsten einnahm.
Für Vega war dies der absolute Höhepunkt des Wettstreites, der spannendste Moment von allen. Olov, der Ritter vom Goldenen Schwert, ritt nun in die Arena, das Band um die Spitze der Lanze gebunden. Es ging ein Raunen durch die Menge, offenbar war er der Günstling der Damen. Er belohnte die erwartungsvollen Blicke der Frauen mit einem Lächeln und nahm sich viel Zeit. Der Herold sah aus, als wolle er ihn drängen, und murmelte etwas Unverständliches ins Mikrofon. Nach einer weiteren Runde blieb die Equipage vor Birgitta stehen. Vega rang nach Luft, stand halb auf und ließ sich wieder auf die Bank sinken.
»Du mußt nicht annehmen«, flüsterte sie. Aber es war zu spät. Birgitta hatte das Band schon angenommen und war auf dem Weg von der Tribüne hinab. Der Knappe legte ihr den Mantel des Ritters um, und sie nahm den erhöhten Platz neben dem Fürsten ein.
»Was für ein Glück, daß Arne nicht hier ist. Offenbar hat er einen Vortrag in Öja zu halten. Aber er wird sicher davon hören.« Vega sah bekümmert drein.
»Aber wieso denn? Das ist doch nur ein Spiel«, meinte Hartman.
»Das kann aber ein gefährliches Spiel sein.« Vega schüttelte nachdenklich den Kopf. »Es ist Brauch, daß der Ritter sich ein Schäferstündchen mit der Auserwählten erbitten darf, wenn er das Turnier gewinnt.« Sie rang die Hände auf dem Schoß. »Das hier ist gar nicht gut. Das ist überhaupt nicht gut.«
»Birgitta braucht sich doch hinterher nicht mit ihm zu treffen, wenn sie nicht möchte«, sagte Maria, aber Vega bedachte sie nur mit einem langen Blick.
21
»Ein Schatten legte sich über das Volk, als im Jahr der Pest 1351 die Posaunen über der Stadt erschallten. Fieberschauer, trübe Augen und Schwindel, ein unstillbarer Durst und Atemnot suchten dich heim, du hochmütige Stadt. Doch damit nicht genug. Schwarze Beulen, groß wie Gänseeier, schlugen aus deinen Achselhöhlen, Hälsen und Leisten. Deine Sprache wurde wirr, der Gang torkelnd, aber es waren immer noch weitere Schrecken zu erwarten. Es packte dich die Pest, als die Schlange, der Teufel, auf die Erde losgelassen wurde. Hast du dich in acht genommen? Ich, der Erzengel Gabriel, bin gekommen, um gegen das Böse zu kämpfen. Ich sehe durch die Mauern und den Stein deine schmierigen Lefzen, sehe, wie du dich mit Falschheit satt frißt. Wehe dir, du verlorene Stadt, wenn ich deine Seele zum Gericht hole! Wehe dir am Tag des Zorns, wenn du in meiner Waagschale gewogen werden wirst und dein Lotterleben offenbar werden wird. Denn mein zweischneidiges Schwert wird das Böse vom Guten scheiden und die Schlange am Ende töten. Neun Verbrecher, Verräter der ganzen Menschheit, hast du auf den Scheiterhaufen gebracht, weil sie unsere Brunnen vergiftet und Tod und Elend um sich verbreitet haben. Und immer noch herrscht in deinen Gassen das Böse.«
»Das war ja eine charmante Rede«, meinte Hartman. »Da verliert man fast den Appetit.«
»Das ist Christoffer. Jetzt wird mir klar, warum seine Freunde ihn die Pest nennen.« Maria stieß Hartman in die Seite.
»Im Moment scheint er aber als Engel aufzutreten, sogar als Erzengel. Siehst du nicht die Flügel auf dem Rücken? Schönes Pferd. Ein englisches Vollblut. Das muß sehr gut dressiert sein, um in solch einer Menschenmenge ruhig zu bleiben. Bestimmt ist es eines von Olovs Pferden.«
»Zum Glück verstehen die alle nicht, was er sagt, denn sonst gäbe es sicher Proteste«, meinte Vega. »Der Erzengel Michael wird oft mit einem flammenden Schwert oder mit einer Lanze und einem Schild dargestellt, auf dem ein Kreuz abgebildet ist. Mit seiner Posaune ruft er zum Kampf gegen den Drachen. Er ist auf dem Friedhof von Vamlingbo begraben, zumindest hat man das früher geglaubt. Das klingt für meine Begriffe etwas vermessen, aber in Vamlingbo hat man das behauptet, auch damit es der Gemeinde dort einen gewissen Status verlieh. In der Kirche gibt es ein Gemälde, auf dem der Erzengel Michael die Seele von Kaiser Heinrich wiegt. Man hat bis ins 17. Jahrhundert
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