Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod im Jungfernturm

Tod im Jungfernturm

Titel: Tod im Jungfernturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Jansson
Vom Netzwerk:
sich in den Gassen von Visby zwischen Speichern und Mauern aufgewärmt hatte, strich sanft über Marias Beine. Sie fror ein klein wenig hier am Meer, knöpfte ihre Jeansjacke zu und setzte sich neben Olov und Hartman an den Strand. Vor ihr breitete sich in seiner ganzen Großartigkeit das Meer aus und spülte schläfrige, schwarze Wellen ans Land. Es gab keinen Horizont mehr, denn Himmel und Meer waren eins geworden. Es hatte etwas Beruhigendes, einmal nichts sehen zu müssen, was von Menschenhänden geschaffen war. Es war wohltuend, sich ganz in den Anblick des Meeres, der Steine und des Feuers zu versenken. Etwas entfernt war eine Flöte zu hören. Jemand spielte eine Farandole. Olov sprach als erster.
    »Dauert es lange? Ich sollte heute abend noch nach Lojsta fahren, da ist Ritterabend.«
    »Nein, es wird nicht lange dauern«, sagte Maria und nahm routinemäßig die Personendaten auf. »Es war nicht ganz einfach, Sie zu erwischen. Wo arbeiten Sie?«
    »Ich mache die Nachtschicht in der Notaufnahme, und ich züchte Pferde. Pferde erfordern viel Zeit, aber in dieser Kombination funktioniert es gut für mich. Früher habe ich draußen im Notdienst gearbeitet, da war der Schichtdienst etwas heftig.«
    »Was halten Sie von dem Verschwinden Ihres Vaters?«
    »Ich weiß es nicht. Natürlich macht man sich Sorgen. Wir haben alle Bekannten auf dem Festland angerufen und die Leute von der Landwehr benachrichtigt. Das habe ich gemacht. Mama telefoniert nicht so gern. Aber niemand hat etwas von ihm gehört. Die Idee, daß er seinem Leben ein Ende gesetzt haben könnte, scheint mir nicht völlig abwegig. Die Gegenwart ist ihm in gewisser Weise entglitten. Die Gebiete, auf denen er sich früher bewegt hat, haben keinen Wert mehr, und das ist ihn hart angekommen.«
    »Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Wilhelm beschreiben?«
    Olov zögerte und dachte nach.
    »Nun, man wandert als Ritter zwar auf den Spuren seines Fürsten, aber es gibt dennoch Grenzen.« Er seufzte und setzte sich anders hin. »Ich versuche, meinen Vater zu respektieren, aber wir haben in vielem unterschiedliche Ansichten.«
    »Worin zum Beispiel?« fragte Maria.
    »Also, darauf würde ich lieber nicht antworten.«
    »Natürlich. Wo waren Sie am Montagmorgen um halb sechs?«
    »Zu Hause in Martebo.«
    »Allein?«
    »Ich war draußen bei den Pferden.«
    »Wenn wir uns nun mal vorstellen, Ihr Vater hätte beschlossen, sich das Leben zu nehmen, würde es dann zu ihm passen, daß er von der Gotlandfähre springt? Bei manchen Dingen sagt man dann doch spontan: Nein, das würde er nie tun. Was meinen Sie?« Maria drehte sich um, um Olovs Gesicht sehen zu können, wenn er antwortete. Er sah sehr gut aus, durchtrainiert, breitschultrig und mit blauen Augen. Im Moment wirkte er besorgt und ernst, aber Maria hatte ihn auch schon lachen sehen, und sie zweifelte nicht an der Wirkung, die das auf jüngere Frauen und alte Damen haben mußte. Sie selbst war dagegen nahezu immun. Nach zehn Jahren mit Krister wußte sie, was ein Lächeln alles verbergen konnte. Das war schade, aber in der Hinsicht war sie ein gebranntes Kind.
    »Ich glaube nicht, daß er sich erschießen würde. Das fände er zu unangenehm für die Angehörigen. Vor ein paar Jahren suchte die Landwehr mal nach einem Mann oben im Wald, der allein mit seinem Gewehr losgezogen war. Vater war mit dabei und durchforstete die Gegend. Schließlich fand er ihn in einer Hütte aus Tannenzweigen. Da hatte er bereits drei Tage im Wald gelegen und war wohl schon von Füchsen und Nagetieren gefunden worden. Nein, er würde sich niemals erschießen. Und aus demselben Grund wohl auch kaum erhängen.«
    »Wie bewältigt Ihre Mutter den Hof, wenn er verreist?«
    »Das meiste schafft sie allein. Bald ist es Zeit für den Weizen, aber dann springe ich ein, wenn es erforderlich sein sollte.«
    »Es muß doch sehr anstrengend für Ihre Mutter sein, auf der psychiatrisch-geriatrischen Station zu arbeiten und dann auch noch ihren senilen Vater zu versorgen.«
    »Nun, so senil ist er ja nicht. Das Hauptproblem ist, daß beide Beine amputiert sind und er nichts mehr sehen kann. Sie kann ihn nicht allein nach unten befördern. Also ist er da oben gefangen, bis mal einer von uns nach Hause kommt. Anselm hat seine Diabetes viele Jahre lang falsch behandelt, und das hat natürlich Folgen. Und dann wacht er nachts auf und hat oft Alpträume vom Finnischen Winterkrieg. Er hat freiwillig auf der finnischen Seite gekämpft und durfte zu den

Weitere Kostenlose Bücher