Tod im Jungfernturm
Manchmal braucht der alte Cat neues Blut, dann füllt man hier Öl ein. Er hat auch ein Gebiß, wie deine Alten im Heim. Diese Splinte hier haut man mit dem Vorschlaghammer auf der Schaufel fest, wenn er mal Gras kauen soll.«
»Meinst du wirklich?«
»Daß wir zusammenarbeiten können? Natürlich. So wie es jetzt läuft, schaffe ich das alles nicht allein. Ich will auch manchmal frei haben, und die Maschine ist zu teuer, um nur zur allgemeinen Besichtigung hinter dem Stall zu stehen. Und jetzt zeige ich dir, wie man tankt. In der grünen Kiste da vorne ist der Landwirtschaftsdiesel. Du nimmst also diesen Schlauch hier …«
Mona stand vor dem Spiegel und betrachtete ihr Gesicht. Henrik hatte ihre Wange berührt. Es war nur ein ganz leichtes Streicheln gewesen, nur mit den Fingerspitzen, als sie nach Hause gehen wollte. Sie wiederholte die Bewegung, spürte seine Hand durch ihre eigene. Versuchte ihr Gesicht mit seinen Augen zu sehen, so wie er sie gesehen haben könnte. Vielleicht hatte sein Blick einen Filter, der alle Häßlichkeit wegfilterte. Sie hatte die Augen zusammengekniffen und war rot geworden, aber es hatte ihr sehr gefallen, daß er sie berührte.
Mona faltete Wilhelms Kleidung zusammen und legte sie in den Sack für die Altkleidersammlung. Der Anzug, der die letzten zehn Jahre zu klein gewesen war, die glänzenden, buntgescheckten Hemden, die er unbedingt kaufen mußte. Mona konnte sich immer noch über die lächerliche Figur ärgern, die er darin machte. Aufgeknöpft bis zur Brust und dann eine dicke Goldkette, so daß er aussah wie ein Zuhälter. Der Zuhälter aus Eksta und die Dorfhure. Ein Telefonklingeln durchschnitt die Stille.
»Hallo, Birgitta, schön von dir zu hören. Olov? Nein, er nicht hier … Christoffer auch nicht … Was ist denn, Birgitta? Bist du traurig? … Ja, ich werde ihnen sagen, daß sie dich anrufen sollen, wenn sie sich melden …. Oder willst du das nicht?«
Mona blieb noch lange mit dem Hörer in der Hand stehen. Sie mußte in die Stadt, und zwar sofort, und wenn sie ein Taxi nehmen mußte. Birgitta durfte nichts zustoßen. Einen Moment lang erwog sie, die Polizei zu rufen. Doch aus Angst vor den Folgen verwarf sie diesen Gedanken wieder. Wenn er hörte, daß sie dort angerufen hatte … Mona wollte gar nicht daran denken. Aber sie würde ihn anflehen, egal, ob es etwas brachte oder nicht.
Der Busfahrplan war abgerissen. Das war egal, sie hatte ihn sowieso nie richtig durchschaut. Sie stand allein an der Bushaltestelle. Wenn andere warteten, dann war es wahrscheinlicher, daß bald ein Bus kommen würde. Sie beugte sich vor und sah die Straße hinunter. Sie hätte die Brille mitnehmen sollen. Aber das Wohnzimmer war zu Eis gefroren. Nichts darin konnte angerührt werden, seit dem Abend, an dem sie Zeugin des Mordes an Wilhelm geworden war. Sie konnte sich das selbst nicht erklären. Es war einfach so. Es war eine Art magisches Opfer, daß sie die Brille nicht benutzte und den Fernseher nicht einschaltete, ja, nicht einmal den Boden betrat. Die Blumen da drin hatten verwelken müssen. Das war nicht zu ändern. Es war wie eine Grabkammer.
Der Bus ließ auf sich warten. Mona hatte gerade beschlossen, nach Hause zu gehen und ein Taxi zu rufen, als sie Henriks Auto sah. Sie stellte sich hinter das Wartehäuschen. Er durfte sie nicht sehen und fragen, wohin sie wollte.
38
Birgitta knipste ein paar gelbe Blätter von den Pelargonien im Balkonkasten und ging hinein. Die Sonne stand tief und erfüllte die Küche mit einem gelben, blendenden Licht. Sie räumte die Spülmaschine aus und stellte zwei Keramikbecher auf den Küchentisch. Noch eine halbe Stunde, bis Maria kommen wollte. Das Gemurmel vom Marktplatz drang durch die sanften Töne von Enyas »Shepherd Moons«. Die CD war ein Geschenk von Olov, und es hatte eine Zeit gegeben, da hatte sie sie täglich gehört.
Unten im Treppenhaus hörte man Lachen und Reden. Die Haustür wurde immer wieder zugeschlagen. Birgitta ging in den Flur, um zu horchen. Sie sah ihr Bild im Spiegel. Ein magerer Körper mit lose sitzenden Kleidern. Wieviel Gewicht hatte sie in den letzten Monaten verloren? Ihre Augen sahen schwarz und eingesunken aus über den ausgeprägten Wangenknochen. Das Haar hatte sie zu einem strengen Pferdeschwanz zusammengebunden. In diesem Moment wurde auch für sie die Ähnlichkeit mit Mona Jacobsson offensichtlich. Aber vielleicht lag die Ähnlichkeit weniger in ihrem Aussehen, sondern in Körperhaltung und
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