Tod im Jungfernturm
Birgitta adressiert war. Er war nicht zugeklebt, sondern nur zugesteckt, wie sie feststellte, als sie ihn umdrehte. Es war ein komisches Gefühl, ihn in der Hand zu halten. Merkwürdig, wie Wilhelms Handschrift Birgittas Namen mit einer so schnörkligen Fürsorge geformt hatte.
»Gib mir den Brief«, sagte er, und sie gehorchte mechanisch seiner Stimme. Er enthielt Geld und ein handschriftlich beschriebenes Blatt. »Ich kümmere mich darum«, sagte er und steckte ihn in seine Tasche, ehe sie mehr lesen konnte als die einleitenden Sätze.
»Was soll ich mit dem Geld machen?«
Er lachte kurz und freudlos. »Das fragst du mich? Versteck es zu Hause und gib es nach und nach und mit Bedacht aus.«
37
Mona verfolgte die Bewegungen des Baggers. Ihr Kopf ging wie eine Nähmaschinennadel auf und ab, während Henrik die Schaufel mit Steinen und Erde füllte und sie über dem Hügel leerte. Es ist fast eine künstlerische Arbeit, einen Abhang so zu formen, daß er natürlich aussieht, hatte er gesagt, wie wenn man einen Frauenkörper mit seinen weichen Formen nachbildet. Die gigantische Maschine gehorchte ihm auf den leisesten Wink, und Mona beobachtete jede Bewegung. Jetzt lud er einen großen Stein auf die Schaufel. Der Bagger ruckte. Der Stein flog in die Luft und wieder in die Schaufel, immer wieder, als würde Henrik den richtigen Hebel nicht finden.
Mona folgte jedem Stocken mit dem Kopf, bis ihr klar wurde, daß er sich einen Scherz mit ihr erlaubte. Henrik lachte, daß die Zähne in dem staubigen Gesicht leuchteten. Komisch, daß er ihre Kopfbewegungen mit demselben Hebel steuern konnte wie die Schaufel. Das hätte ihr peinlich sein können, aber seine Augen waren so sanft und das Lachen so freundlich, daß sie das Gefühl hatte, ein Teil seines Scherzes zu sein.
»Willst du auch mal fahren?« Henrik machte die Tür auf und stellte sich neben die Maschine.
»Darf ich?« Er mußte sie nicht zweimal bitten.
»Die Neigung muß 1:2 sein. Erinnerst du dich, wie ich es dir beim Gefälle des Abhangs gezeigt habe?« Mona nickte und verzog das Gesicht, um das Lächeln zurückzuhalten, das sich über ihr ganzes Gesicht ausbreiten wollte.
»Es ist gut, daß es dir so leicht von der Hand geht. Du hast wirklich Talent, alle Achtung. Eigentlich ist es doch seltsam, daß nicht mehr Frauen Bagger fahren. Dein Job auf der Langzeitpflege muß rein körperlich viel härter sein.«
»Ich hasse es!«
»Mit senilen alten Männern zu arbeiten?«
»Auf Kurse gehen zu müssen. Ich muß den Schwesternhelferinnenkurs besuchen, um dort bleiben dürfen. Das wird nicht gehen. Da kann ich gleich aufhören. Die ganzen Kassenabrechnungen, da werde ich nichts begreifen. Verdammter Mist!«
Mona biß sich auf die Unterlippe und spürte, wie sich die ärgerliche Röte bis zum Hals ausbreitete. »Außerdem bin ich es leid, herumgescheucht zu werden. Mona … eine Bettpfanne! Mooona, wo ist mein Kaffee? Was ist das denn für ein mickriger Service hier? Weißt du was, wenn ich in der Stadt einen alten Menschen im Rollstuhl sehe, wechsele ich die Straßenseite. Ich bin das alles so leid. Das einzige, worauf ich in meinem Leben noch hoffen kann, ist, eines Tages zur Inkontinenz-Ombudsfrau aufzusteigen, aber auch nur, wenn ich entgegen aller Wahrscheinlichkeit den Kurs bestehe.«
Henrik lachte. »Warum suchst du dir nicht einen anderen Job?«
»Wie denn das? Was sollte ich denn tun? Man muß doch schon Englisch können, um auf der Gotlandfähre die Klos putzen zu dürfen.«
»Du könntest für mich Bagger fahren.«
»Machst du Witze?«
»Nein. Es gibt Intensivkurse, die man besuchen kann, um eine Arbeitsbescheinigung zu bekommen. Das kostet etwas, aber du lernst mal die Grundbegriffe. Dann kommt es darauf an, wie geschickt und sorgfältig du wirst. Seinen Ruf baut man sich selbst, und die Besten kriegen den Job. Ich habe mir alles selbst beigebracht. Zu meiner Zeit reichte die Bescheinigung von einem Baggerfahrer, daß man tausend Stunden gefahren war. Wenn man einen Goldstern im Buch haben wollte, mußte man eine Streichholzschachtel mit der Schaufel zuschieben können, ohne daß sich die Schachtel bewegte. Siehst du, Mona, das ist handwerkliches Geschick. Aber das wirst du schnell können, das weiß ich, du hast wirklich Talent. Soll ich dir zeigen, wie der Motor funktioniert? Da unten sitzen die Pumpen, sie sind das Herz der Maschine. Das da ist die Ventilreihe. Mit den Hebeln öffnet und schließt man die unterschiedlichen Ventile.
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