Tod im Koog - Hinterm-Deich-Krimi
erste
Tat entdeckt wird und wir sehr schnell auf den Zusammenhang kommen.«
»Das sind noch nicht alle Rätsel«, fuhr Große Jäger fort. »Die
Kieler haben festgestellt, dass Schwester Heike Druckstellen am Gesäß aufweist.
Und zwar jeweils eine Druckstelle auf jeder Seite in Richtung des Kreuzbeines
und wiederum vier Druckstellen auf jeder Seite in Richtung Hüftknochen.«
»Das sind zwei Hände.«
»Genau«, sagte Große Jäger. »Wir müssen unsere Phantasie nicht
spielen lassen, um uns vorzustellen, warum das Opfer auf diese Weise
niedergedrückt wurde. Der Missbrauch fand nicht von Angesicht zu Angesicht
statt.«
Christoph schauderte es. »Das Ganze ist ekelhaft.«
»Da kann ich dir nur zustimmen.«
»Und dennoch lag das Opfer vollständig bekleidet im Graben, als wir
sie fanden. Die Kleidung war in Ordnung. Nichts deutete darauf hin, dass der
Täter sie dem Opfer notdürftig wieder angezogen hätte. Und noch etwas.«
Christoph legte den Zeigefinger an die Nasenspitze. »Wer hat in Zimmer 17
Geschlechtsverkehr gehabt? Dort hat die Hauswirtschaft die beschmutzte
Bettwäsche gefunden.«
»Und wenn Schwester Heike in diesem Zimmer missbraucht wurde? Oder
Schwester Elena. Von der Tat an der jungen Frau wissen wir noch gar nichts.«
Christoph seufzte. »Es gibt noch genug offene Fragen.«
»Ja.« Große Jäger rekelte sich auf seinem Schreibtischstuhl. »Vor
allem müssen wir die Fahndung nach dem Trottel intensivieren, der Harm Mommsen
befördert und aus Husum wegversetzt hat. Seitdem das Kind nicht mehr da ist,
muss ich mich um diesen Mist kümmern.« Dabei wanderte sein Zeigefinger in
Richtung Computer.
Christoph hatte den letzten Satz nur halb wahrgenommen. Er
beschäftigte sich mit dem Vorabbericht der Rechtsmedizin. Welche Bedeutung
hatten die Merkmale, die die Mediziner bei Schwester Heike festgestellt hatten?
Es schien, als hätte die Frau keine Gegenwehr geleistet. Doch alles, was er
bisher über sie gehört hatte, widersprach der Vermutung, sie hätte sich
freiwillig mit einem Mann eingelassen. Alle Zeugen hatten stets bekundet, dass
Heike Bunge nicht leichtsinnig oder gar leichtlebig war. Konnte man ein
Doppelleben führen und stille Leidenschaften im Verborgenen blühen lassen? Das
war schwierig, wenn man in ein so enges soziales Netzwerk eingebunden war wie
die Frau. Selbst ihre Neigung, sich dem Spirituellen zuzuwenden, war kein
Geheimnis geblieben, obwohl Schwester Heike damit nicht Propaganda gelaufen
war. Es müssten noch mehr Zeugenaussagen eingeholt werden.
Christoph teilte dem Oberkommissar seine Gedanken mit.
»Das sollten wir sofort in die Tat umsetzen«, beschloss Große Jäger
und stand auf. Ihm war anzumerken, dass er jedem Argument, das ihn von seinem
Schreibtisch fortbrachte, gefolgt wäre.
Auf dem Weg zum Parkplatz suchten sie noch Hilke Haucks Büro auf.
Die blonde Kommissarin schüttelte den Kopf.
»Nichts. Wir haben immer noch keine Erlaubnis, mit Elena Petrescu zu
sprechen.«
Christoph war immer wieder erstaunt, wie lebhaft der
Verkehr an einem ganz normalen Wochentag in der kleinen Stadt am Meer war. Wo
kamen die vielen Menschen her? Es waren nur zum Teil Fremde, wie die
Autokennzeichen verrieten.
»Ob es das Hobby der Nordfriesen ist, mit ihrem Auto hin- und
herzufahren?«, sagte er laut.
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, erwiderte Große Jäger
schläfrig. »Dann hätte man schon lange etwas Besseres als die unsägliche B5
geschaffen. Man muss ja glauben, dass die Bundesstraße die einzige Straße in
Nordfriesland ist.«
Amüsiert stellte Christoph fest, dass der Oberkommissar wie ein
kleines Kind reagierte. Wenn man ihn ins Auto setzte, wurde er müde und schlief
häufig nach kurzer Zeit ein. Wie lange war es her, dass Christoph diese
Erfahrung bei seinem Sohn gemacht hatte? Es war eine schöne Zeit – damals,
wenn er und Dagmar den Sohn im Kindersitz festgeschnallt und am Wochenende
gemeinsam etwas unternommen hatten. Heute war das alles Vergangenheit. Und am
Ende der Woche würde er wieder verheiratet sein. Mit seinem Sohn telefonierte
er nur unregelmäßig. Und Dagmar, seine Exfrau? Auch von ihr hatte er lange
nichts mehr gehört. Ob es mittlerweile einen festen Partner an ihrer Seite gab?
Jemanden, der in dem Haus wohnte, in dem er viele Jahre seines Lebens verbracht
hatte? Das alles hatte er aufgegeben, weil er damals nach Husum versetzt wurde.
Es war ein hoher Preis gewesen, auch wenn er mittlerweile das Land hinterm
Deich liebte.
Bertram Bunge
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