Tod im Moseltal
jetzt tun sollte. Hatte er überhaupt Möglichkeiten, aktiv in die Ermittlungen einzugreifen, ohne der Anordnung seines Chefs zuwiderzuhandeln? Er konnte weder Befragungen durchführen noch ernsthaft mehr bei der Personenrecherche herausbekommen als die Kollegen von der Fahndung. Er fluchte in Gedanken vor sich hin. Auch wenn er mit der Fahrt nach Hamburg einiges hatte bewegen können, jetzt war er eindeutig auf dem Abstellgleis.
Doch gleichzeitig mit dieser Erkenntnis sickerte nach und nach auch sein Gespräch mit Marie an der Alster in sein Bewusstsein. Mit einem Ruck entschloss er sich, ein paar Runden um die Mattheiser Weiher zu drehen. Vielleicht bekam er ja beim Laufen den Kopf frei.
Nach dem Joggen hatte er geduscht und war einkaufen gegangen. Zum ersten Mal seit Jahren dachte er darüber nach, ob er sich einen kleinen Vorrat anlegen sollte, um eventuellem Besuch etwas anbieten zu können. Zum Glück war Paul mit dem Kaffee zufrieden gewesen, sonst hätte er nur noch Mineralwasser und Multivitaminsaft gehabt. Zu essen hatte er ohnehin kaum etwas im Haus. Nach dem Einkauf war der Kühlschrank zumindest mit ein paar haltbaren Käse- und Wurstwaren gefüllt, Plätzchen und Chips lagen im Hängeschrank, und ganz zum Schluss hatte er sogar noch eine Flasche französischen Rotwein mitgenommen.
Später hatte er überlegt, Marie Steyn anzurufen, wusste aber nicht, was er ihr sagen sollte. Er entschloss sich, eine seiner zahlreichen Film-DVDs in den Player zu schieben. Eine gute Heimkinoanlage und der große Flachbildfernseher waren der einzige Luxus, den er sich in den letzten Jahren geleistet hatte. Passend zu seinem einzigen Hobby: Spielfilme und Filmmusik. Insofern waren Kinos auch die einzigen Orte in Trier, die er in seiner Freizeit regelmäßig aufsuchte. Mit einer Ausnahme: Vor einem Monat hatte er ein Konzert der Trierer Philharmoniker mit Filmmusik von John Williams besucht. Er war von der Darbietung der »Star Wars« -Melodien sehr angetan gewesen und hatte sich vorgenommen, sich irgendwann einmal auch eine klassische Sinfonie anzuhören.
Er wählte »Drei Farben: Blau« von Krzysztof Kieslowski. Die Musik von Zbigniew Preisner passte genial zur Tragik des Filmes und ebenso zu seiner unausgeglichenen Stimmung.
Der Abspann lief noch, als sein Telefon klingelte.
»Hallo, Marie hier, gibt es was Neues?«
»Nein, leider nicht. Ich hatte gerade Besuch von Paul Gerhardts; sie arbeiten die Liste der Mitschüler ab. Und bei dir, alles in Ordnung?«
»Ja, ich denke schon. Juliette kommt gleich mit den Kindern zurück. Ich werde den Abend bei ihnen in Trierweiler verbringen. Ich hoffe, Nora und Mattis haben ein wenig Abstand gewinnen können. – Hörst du klassische Musik?«
»Nein.«
»Was läuft denn da im Hintergrund?«
»Der Abspann eines Films. Kennst du ›Drei Farben: Blau‹ mit Juliette Binoche?«
»Schon gehört. Ist älter, oder?«
»Siebzehn Jahre.«
Sie lachte kurz auf. »Hör mal. Das ist mein halbes Leben. Warst du schon mal in der Luxemburger Philharmonie?«
»Nein, wieso?«
»Wir, also Thomas und ich, haben dort ein Abo. Und jetzt … ist er ja verhindert, wie du weißt. Da du schuld daran bist, könntest du ihn wenigstens ersetzen. Hast du Lust?«
Buhle zögerte nur einen kleinen Moment. »Das ist keine Frage der Lust, Marie. Es geht nicht. Wir dürfen uns nicht zusammen in der Öffentlichkeit zeigen.«
Es entstand eine kleine Pause. »Sicher hast du recht.« Er hörte ihr an, dass sie enttäuscht war. »War nur so eine Idee. Meldest du dich, wenn es etwas zu berichten gibt?«
»Ich kann dir da leider nichts versprechen. Du weißt, das ist zwar nicht mehr mein Fall, aber ich bin immer noch Polizist. Ich darf dir eigentlich gar nichts sagen.«
»Und Hamburg?«
Buhle schwieg. Was sollte er darauf sagen? Was wollte er darauf sagen?
»Hamburg war riskant. Hamburg war erfolgreich. Hamburg war … gut für mich.«
»Schön, dass du das so siehst. Ich melde mich irgendwann mal wieder. Mach es gut.«
Das Telefonat und der Abspann waren längst zu Ende. Er hielt den Telefonhörer immer noch in der Hand. Er musste als Kriminalbeamter auf Distanz zur Frau des Hauptverdächtigen gehen, keine Frage. Dennoch hatte er seit Ewigkeiten nicht mehr eine solche Nähe zu einer Frau, überhaupt zu einem anderen Menschen gespürt wie zu Marie. Sie hatte etwas in ihm bewegt. Etwas, worauf er seit damals gewartet hatte. Etwas, das vielleicht die Starre in ihm lösen konnte. Einen kleinen
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