Tod im Netz: Kriminalroman (Oldenburg-Krimi) (German Edition)
aber nichts Ungewöhnliches aufgefallen.«
» Lisbeth, soll ich dich von dem Fall abziehen?« Sie ging direkt auf ihren sitzenden Chef zu und legte den Kopf zur Seite.
» Nein, das ist doch die heißeste Spur, die wir zurzeit haben, und selbst wenn ich aus dem Fall raus wäre, würde ein Typ, der so großes Interesse an mir hat, dann damit aufhören, mir nachzustellen?«
Paul rieb sich die Innenseiten seiner Hände an seinen Wangen, er musste sich eingestehen, dass Lissi recht hatte. Dass ihm ein Fall entgleiten könnte, das hatte er selbst in Frankfurt selten erlebt.
***
Unzählige Schweißperlen liefen ihr die Stirn herunter, tropften auf das enge rote Sh irt, das sie nur zum Sport trug, zusammen mit ihrer schwarzen Radlerhose. Sie ging aus dem Sattel. Das Programm sah eine virtuelle Steigung vor, als würde sie einen Berg hochfahren. Doch sie befand sich in einem Fitness-Studio in der Oldenburger Innenstadt. Obwohl ihr die Oberschenkel brannten, wollte sie die vollen 45 Minuten auf dem Fahrrad durchziehen. Sie brauchte das heute. Bisher hatte sie sich in dem Studio immer wohlgefühlt. Nicht jedoch an diesem Tag. Sie fühlte sich auf seltsame Art und Weise beobachtet, von jedem Mann – egal ob Besucher wie sie oder von den Angestellten. Sie hatte noch nicht einmal das Sportgerät bestiegen, da musterte sie ein gut durchtrainierter Mann, Mitte 30, kurze schwarze Haare. Als wollte er sich für seinen abtastenden Blick entschuldigen, probierte er ein wenig gekonntes Lächeln. Sieht so ein Psychopath aus? Würde so einer dich mit den Augen schon im Fitness-Studio ausziehen, deine ausgeprägten weiblichen Rundungen mit seinen Linsen abfahren? Sicher nicht. Wenn es der Wahnsinnige ist, verhält er sich doch unauffällig. Dann bekommst du das gar nicht mit. So wie im ‚Fiddlers Green‘. Du hättest darauf achten müssen, ob dich jemand beobachtet oder dir gar folgt. Was bist du nur für eine schlechte Polizistin!
Plötzlich stand der Mann mit fragendem Blick vor ihr, der gerade noch neben ihr gestrampelt hatte. Er runzelte die Stirn und nahm sein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger.
» Was ist?«, raunzte sie ihn an, »reicht es dir nicht, mich von der Seite anzuglotzen, willst du mich von vorne sehen?« Lisbeth hatte aufgehört zu treten und wischte sich mit dem Handtuch den Schweiß von der Stirn.
» Entschuldigung, ich bin mit meiner Übung fertig…«
» Schön für dich, dann hau doch einfach ab.«
» Wenn es nicht zu viel verlangt ist: dürfte ich dann mein Handtuch mitnehmen?« Erst jetzt bemerkte Lisbeth, dass das Handtuch, das sie in der Hand hielt, schwarz war. Sie musste es in ihrem sportlichen Eifer gegriffen haben, ihr eigenes blaues Handtuch lag noch über dem Lenker.
» Sorry, habe ich gar nicht gemerkt. Soll ich es waschen?« Der Typ lächelte freundlich und nahm sein Handtuch mit einem lässigen »nicht nötig« an sich und ging zum Rudergerät.
Mein Gott, muss der mich jetzt für eine hysterische , überdrehte Kuh halten. Sie war völlig durcheinander und wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Einerseits sah sie in jedem Mann, der sie bewusst oder unbewusst ansah, ‚MrJudge‘. Andererseits könnte auch jeder Mann, der sich in ihrer Nähe aufhielt, verdächtig sein. Sie hatte sogar schon darüber nachgedacht, das Studio zu wechseln, zu einem, das nur Frauen als Mitglieder zuließ. Aber es konnte doch nicht sein, dass irgendein Phantom aus dem Internet Einfluss auf ihren Alltag nahm, oder?
Paul hatte ihr noch angeboten, ein paar Tage frei zu nehmen. Auch das hatte sie abgelehnt. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass Ansgar Brinkmann der Mann sein sollte, der sie beobachtete. Okay, er wusste, dass sie bei der Kripo arbeitete. Aber er hatte es doch gar nicht nötig, sie anonym zu beobachten wie ein Spanner, oder sie gar mittels eines Blumenboten vorzuführen. Oder war die Aktion seine Reaktion auf ihre Abfuhr gewesen? Das machte jedoch gar keinen Sinn, falls ‚MrJudge‘ auch der Täter von Elena Wagner und Annika Eilers war. Die Morde hatten davor stattgefunden.
Lisbeth begann wieder zu treten, der Schlussspurt stand an. Ihre Beine wirbelten immer schneller, als würde der Spinning-Trainer sie auf den letzten Metern anfeuern, den letzten Rest Körperflüssigkeit aus ihr rausholen zu wollen. Sie sah sein Gesicht, seinen schwitzenden Körper vor sich. Für die letzten 30 Sekunden, die das Programm anzeigte, ging sie nochmal aus dem Sattel und fuhr ihr eigenes,
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