Tod im Netz: Kriminalroman (Oldenburg-Krimi) (German Edition)
ihm gegenüber lediglich weisungsbefugt.
Paul fand keine neue E-Mail von Arne Claaßen vor. Dass Arne seinen Bericht ausgedruckt und einfach in die Ermittlungsakte gelegt hatte, hielt er für genauso wenig denkbar wie dass er es vergessen oder zeitlich nicht geschafft hatte. Zur Sicherheit sah er trotzdem in die Akten der beiden aktuellen Fälle und sah sich in seiner Einschätzung bestätigt. Enttäuscht wählte er die Handy-Nummer seines Mitarbeiters. Er hörte die aufreizende Melodie von 'Mission Impossible' aus dem Nachbarbüro. Seine Armbanduhr verriet ihm, dass es erst 6.55 Uhr war. Um die Zeit war Arne sonst nie im Büro.
Paul fand Arne, den Kopf auf die Hände gelegt, schnarchend vor, nicht mal die nervige Tom-Cruise-Melodie konnte ihn wecken.
» Hey, dein Telefon klingelt«, brüllte Paul ihm ins Ohr. Schlaftrunken griff er zum Smartphone, das inzwischen aufgehört hatte zu klingeln.
» Ich wollte mich doch nur ganz kurz ausruhen.«
» Wie lange hast du denn gemacht?« Paul goss ihm frischen Kaffee in den Becher, den er vorher ausgespült hatte, und stellte ihn auf dem Schreibtisch ab. Arne rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht.
» Weiß ich gar nicht mehr genau, du kannst dir gar nicht vorstellen, in wie vielen Chatrooms die junge Dame unterwegs war. Facebook, Twitter und Google Plus mal gar nicht mitgerechnet.«
» Okay, trink einen Schluck, und dann erzähl mal in Ruhe.« Paul setzte sich auf einen freien Stuhl neben ihn.
» Also, Axel und ich mussten ja für unseren Chef eine Sonderschicht fahren«, Paul überhörte die Anspielung, »meine Verabredung habe ich gestern Abend abgesagt…« In seinen Augen sah Paul, dass er etwas Wichtiges gefunden haben musste. Nur um sich anschließend als Held feiern zu lassen, begann er mit der vorgespielten Mitleidstour. Sonderschichten waren bei der Kripo keine Seltenheit, gerade bei solch spektakulären Fällen.
» Ja, natürlich, Chef. Also: Nachdem ich das Tablet von Annika auf links gedreht habe, also komplett alle relevante Daten aufgesaugt habe…«
» Ja, Arne, ist gut, ich weiß, du bist ein Ass auf deinem Gebiet, ein Held, komm zum Punkt, bitte.«
» …wenn du mich ausreden lässt«, Paul nickte, »Annika hat sich auch elektronisch mit dem Künstler, also dem Typen aus der Theatergruppe, wie hieß er noch gleich…?«
» Benedikt Vogel«, half ihm Paul aus
» Genau, mit Ben ausgetauscht, obwohl sie ja nur wenige Meter voneinander entfernt wohnten. Am Abend ihres Verschwindens hat sie Ben abgesagt, weil sie sich mit einem User, ‚Ghostwriter69‘, verabredet hatte zu einem realen Treffen.«
» Wo wollten sie sich denn treffen?«
» Im ‚NewYork NewYork‘, in der Wallstraße.«
» Das ist doch ein Italiener, oder?«
» Ja, Restaurant und Cocktailbar.«
» Haben sie Telefonnummern ausgetauscht?«
» Nein, leider nicht.«
» Wäre ja auch zu schön gewesen. Hatte sie auch Kontakt zu ‚MrJudge‘?«
« Nein. Aber diese Chatter wechseln mitunter ihre Usernamen häufiger als ihre Unterhosen. Teilweise sind sie mit zwei Nicks im gleichen Chat eingeloggt.«
» Und das funktioniert?«
» Kommt auf den Chat an, manche lassen nur eine IP-Adresse zu.«
» Ok - weiter, was hast du noch für mich?«
» Sag mal, hast du irgendwas zu essen dabei?« Paul grinste, ging wortlos in sein Büro und holte die Papiertüte, die er vom Bäcker mitgebracht hatte. Arne fingerte, ohne reinzuschauen, in der Tüte herum und fischte ein Schokocroissant heraus.
» Für dieses Croissant kommst du in den Himmel.« Arne grinste wie ein kleiner Junge, biss genüsslich in den Blätterteig und krümelte seinen Pullover voll, was ihn aber nicht im Geringsten störte. Mit vollem Mund erzählte er weiter.
» Wadde, 's Beste kommd no…«
» Nun schluck erst einmal runter, sonst verstehe ich dich nicht.« Arne kaute fertig und schüttete Kaffee hinterher.
» Hm, die früheste Konversation zwischen Annika, sie nannte sich ‚Curiosity‘, und ‚Ghostwriter69‘ im Chat klingt schon ziemlich vertraut, so als würden die sich schon gekannt haben.«
» Aus dem echten Leben oder virtuell?«
» Virtuell«, Arne futterte weiter an seinem Teilchen, «die 'aben sich 'm Internet kennengelernt, hundertprozentig. Ob über Facebook, Skype oder woanders, kann ich noch nicht sagen. Axel fährt mit der neuen Software gerade eine Auswertung. Der absolute Wahnsinn, das Teil. Es überprüft Ähnlichkeiten in den Sätzen, zum Beispiel machen manche Menschen immer denselben
Weitere Kostenlose Bücher