Tod im Netz: Kriminalroman (Oldenburg-Krimi) (German Edition)
ihrem Beruf als Kriminalbeamte gehörte so etwas nicht zum Alltagsgeschäft, ganz und gar nicht.
» Hallo, bist du ‚Mister Judge‘?«, fragte Lisbeth, als sie vorsichtig die Tür geöffnet hatte.
» Was?«
» Na, du bist doch der Mann aus dem Internet.«
» Keine Ahnung, von was Sie da reden. Ich soll hier nur diesen Blumenstrauß abgeben.«
» Von wem kam der Auftrag?«
» Warten Sie, da muss ich nachsehen. Ich glaube, es war eine Internetbestellung«, der Bote suchte in einem mobilen Gerät nach dem Auftrag, »ah, da haben wir es ja, ein gewisser Frank Thiel hat die Bestellung aufgegeben, wohnt in Münster. Sagt Ihnen der Name etwas?«
Paul schlug mit der Faust so hart auf einen Tisch, dass Frank Albers erschrocken zusammenzuckte und seinen Chef verwundert ansah.
» Was ist denn los?«
» Was ist denn los, was ist denn los?«, äffte Paul ihn nach. »Wir sind schön gefickt worden, aber mal so richtig, das ist los! Frank Thiel aus Münster, na, bimmelt da nichts?«
» Äh, nein…«
» Mensch, Frank Thiel, das ist der Kommissar aus dem Fernsehen. Münsteraner Tatort. Unser Mann weiß, dass wir von der Polizei sind und verspottet uns. So eine Scheiße, Mensch!«
Kapitel 12
Die aufwendig geplante und durchgeführte Aktion zur Aufdeckung der Identität von ‚MrJudge‘ hatte mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Auf der anderen Seite ergaben sich neue Ermittlungsansätze. Bevor der Leiter der inzwischen auf 19 Personen aufgestockten 'Soko Schlosspark' zu einem Treffen alle Teilnehmer einberief, besprach er die Lage im kleinen Kreis mit dem Fallanalytiker Axel Meyerhoff, dem IT-Experten Arne Claaßen und Lisbeth Eicken. Eine vom Auftraggeber des Blumendienstes verfasste Nachricht hatte sich im Blumenstrauß befunden. Die Botschaft war – genau wie die Bestellung – im Internet durchgeführt, vom Blumendienst auf eine Karte gedruckt und zugestellt worden. Eine DNA-Analyse machte somit keinen Sinn. Die Ermittler rätselten über die Zeilen der Karte, die mit einem schwarzen Rand versehen worden war, wie es eigentlich bei Todesanzeigen üblich ist.
ZU MEINEM LEID ICH LEIDER HEUTE MUSS PASSEN,
WAS MICH NICHT ABHÄLT, DIESE ZEILEN ZU VERFASSEN:
WÜNSCH MIR SO SEHR, DICH ENDLICH ZU SEH'N,
VIELLEICHT WIRKLICH BEI DIR IN DER HAUSNUMMER ZEHN.
Lisbeth Eicken wohnte in der Junckerstraße 10. Nach dem Einsatz in der von der Polizei angemieteten Wohnung ging Paul mit zu Lisbeth in ihre eigenen vier Wände, nur um sicherzugehen, dass sie dort keine Überraschungen vorfand. Die eigenwillige Kommissarin hatte darauf bestanden, die Nacht allein zu verbringen, nachdem sie bestätigt hatte, dass nichts fehlte und keiner in ihrer Wohnung gewesen war.
Natürlich hätte die Angabe des Wortes 'zehn' auch ein Schuss ins Blaue gewesen sein können. Die Ermittler mussten jedoch davon ausgehen, dass ‚MrJudge‘ genau wusste, wo Lisbeth Eicken wohnte.
» Also, ich fasse zusammen: Wir gehen davon aus, dass ‚MrJudge‘, besser gesagt, der Mann, der hinter diesem Nicknamen steckt, erstens: Lisbeths komplette richtige Adresse kennt, zweitens: weiß, dass sie bei der Kriminalpolizei arbeitet. Herr Meyerhoff, oder - wir duzen uns hier alle im Team - darf ich Axel sagen?«
» Gern.«
» Okay Axel, ich bin Paul«, er deutete auf die anderen beiden, »das ist Lisbeth, Arne kennst du ja schon. Was kannst du uns über den Verfasser der Zeilen sagen, und wie passt das in unser bisheriges Täterprofil?« Axel Meyerhoff nahm sich die Grußkarte mit den vier Zeilen erneut zur Hand, als könnte er dadurch neue Geheimnisse darin entdecken.
» Zunächst werde ich mich nur auf diese Botschaft beziehen. Er schreibt alle Buchstaben groß. Entweder hat er ein starkes Selbstbewusstsein, oder er möchte sich gerne so sehen, sich präsentieren. Er fühlt sich sicher, uns überlegen, das will er uns zeigen. Die Aktion war eine einzige Machtdemonstration«, Axel Meyerhoff ging wie ein Dozent bei einem Vortrag auf und ab, »er ging auch davon aus, dass wir den Auftraggeber ausfindig machen und den Wink mit dem Tatort-Kommissar verstehen würden. Er hat ein hohes Bildungsniveau. Aber ein großer Lyriker ist er nicht – dafür ist das Gedicht handwerklich zu schlecht verfasst worden, das Versmaß stimmt überhaupt nicht - er spielt jedoch gern mit Worten.«
» Ist ‚MrJudge‘, nach deiner professionellen Einschätzung als Fallanalytiker, der Mörder von Elena Wagner und Annika Eilers?« Sechs Augen starrten den Profiler nach Pauls
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