Tod im Pfarrhaus
liebreizenden Engels noch. Irene begann bereits, sich zu überlegen, wie gestört die süße Kantorin eigentlich war.
»Und Jacob?«
»Den kannte ich überhaupt nicht. Ich habe ihn nur zweimal gesehen. Die Angestellten der Großgemeinde frühstücken nach der Christmette immer gemeinsam …«
»Das weiß ich. Sind Sie ihm nur dort begegnet?«
»Ja. Das erste Mal hatte er seine Frau dabei. Sie waren frisch verheiratet.«
»Was hatten Sie für einen Eindruck von ihnen?«
Eva saß lange schweigend da.
»Es gab keine Energie zwischen ihnen. Keine Glut. Da war nur Kälte.«
Irene war erstaunt. War diese Ehe von Anfang an nicht im Lot gewesen? Dann fing sie sich wieder. Dies war Eva Möllers Meinung, und sie sollte sie nicht einfach übernehmen.
»Haben Sie sich nie mit Jacob unterhalten?«
»Doch. Letzte Weihnachten. Aber wir haben nur ein paar Gemeinplätze ausgetauscht.«
»Was machte er da für einen Eindruck?«
Eva spielte mit einer Haarsträhne, während sie nachdachte.
»Neutral. Niedrige Energie. Kaum Kontaktfläche.«
Ein Blick auf Fredrik genügte. Hier war voller Kontakt. Er schien von innen heraus zu leuchten. Irene begann, sich immer mehr zu ärgern. Nur um das Verhör ordentlich zu einem Ende zu bringen, fragte sie:
»Haben Sie irgendwann auch Rebecka getroffen?«
»Ja. Damals, als ich auch Jacob und seiner Frau begegnet bin. Das Weihnachten davor.«
»Was hatten Sie für einen Eindruck von Rebecka?«
Erneut war Eva lange still.
»Sie verfügt über große innere Energie. Aber diese ist nicht dunkel wie bei ihrer Mutter. Und doch versteckt sie sie. Ihr Inneres ähnelt wohl mehr dem des Vaters, aber nach außen sind keine Gemeinsamkeiten zu erkennen.«
»Da haben Sie Unrecht. Rebecka hat rein äußerlich sehr starke Ähnlichkeit mit ihrem Vater«, wandte Irene ein.
»Äußerlich, ja. Ich spreche aber nicht über ihr Aussehen, sondern über ihre Seele. An der Oberfläche ist sie äußerst beherrscht. Sie lässt niemanden an sich heran. Keinen Menschen.«
Irene fand, dass es höchste Zeit war, aufzubrechen. Fredrik saß noch immer mit einem Lächeln da, das nicht nachzulassen schien.
Die Inspektorin stand auf und dankte für den Kaffee. Widerwillig erhob Fredrik sich ebenfalls. Sie gingen zur Haustür und zogen ihre Jacken an. Ihre schmutzigen Schuhe nahmen sie mit auf die Vortreppe. Der Reißverschluss von Irenes Stiefel klemmte. Der Schweiß brach ihr aus, so sehr musste sie sich mit ihm abmühen. Während Fredrik auf das Auto zuging, berührte Eva sie leicht an der Schulter und sagte leise:
»Du hast die rechte Energie und kannst zu deinem Inneren vordringen. Der Kontakt mit deinem Innersten ist stark. Du kannst meditieren und dich versenken.«
Irene war so verblüfft, dass sie nur nickte. Wie konnte Eva wissen, dass sie beim Jiu-Jitsu meditierte?
»Zusammen können wir die verborgenen Tiefen von Sten Schyttelius erkunden. Ich schaffe es nicht allein, denn dafür ist zu viel Energie nötig. Ruf mich an, wenn du es versuchen willst.«
Ehe Irene sich noch besinnen konnte, war Eva zurück ins Haus gegangen. Sie lächelte und winkte Fredrik zu, der freudig zurückwinkte. Dann schloss sie bedächtig ihre blaue Tür.
»Das Gladiator Fitnessstudio am Mölndalsvägen hat bestätigt, dass Jacob Schyttelius dort am Montag zwischen zwanzig und zweiundzwanzig Uhr trainiert hat. Von den Kassiererinnen bei Hemköp erinnert sich keine an ihn. Da dieser Laden um zweiundzwanzig Uhr schließt, muss er vor dem Training dort gewesen sein. Was hat das Verhör von Jacobs und Rebeckas Cousins ergeben?«, fragte Kommissar Andersson an Hannu gewandt.
»Die Cousins kannten sich kaum. Der Altersunterschied war zu groß. Der jüngste der Brüder ist neun Jahre älter als Jacob.«
»Konnte er etwas über seinen Onkel erzählen?«, fragte Irene.
»Nicht viel. Sten Schyttelius war ein Nachzügler. Er hatte, als er erwachsen war, nicht mehr viel mit seinen Schwestern zu tun. Ihr Vater war Pfarrer einer kleinen Gemeinde bei Skövde.«
»Also kam Sten selbst aus einer Pfarrersfamilie?«
»Ja. Elsa auch. Ihr Vater war Pfarrer der Nachbargemeinde. Elsa und Sten kannten sich schon als Kinder.«
Irene biss von ihrem Käsebrötchen ab und dachte einen Augenblick über Hannus neue Informationen nach. Außer ihnen befanden sich noch Sven Andersson und Fredrik Stridh im Zimmer. Die Sonne ging gerade unter. Freitagabend in Göteborg. Bald würde freudige Erwartung in enttäuschte Hoffnung und Trunkenheit
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