Tod im Schärengarten
antwortete nicht.
Sie nahm die Serviette und tupfte sich das Blut aus dem Mundwinkel. Es war nicht sehr viel, aber es leuchtete anklagend auf dem weißen Papier. Sie faltete die Serviette zusammen, sodass man die roten Flecken nicht mehr sehen konnte, und legte sie zurück auf den Tisch.
Henrik sagte immer noch nichts.
Auf einmal fühlte Nora, wie ihr Körper schwer wie Blei wurde.
»Ich hole Adam und Simon nach Hause, und dann gehe ich zu Bett«, sagte sie. Nur mit großer Mühe gelang es ihr, die Worte auszusprechen.
Die Salzsäule, die ihr Mann war, erwachte zum Leben. Er sah völlig verzweifelt aus, so als wüsste er nicht, was er machen sollte.
»Verzeih, Nora, du musst mir verzeihen. Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist.« Henrik fasste sie bittend am Arm.
Nora erinnerte sich an letzten Sommer, als sie sich wegen ihres Jobangebots in Malmö gestritten hatten. Da war er aufgebraust und weggegangen, und sie war diejenige gewesen, die mit Tränen in den Augen darum gebettelt hatte, dass er bleiben und nicht mehr wütend sein solle.
Jetzt war es genau umgekehrt. Aber befriedigt war sie darüber nicht.
Mit einem letzten Blick auf das schimmernde Meer, so unbeschreiblich schön im rosa Licht des Sonnenuntergangs, erhob sie sich vom Tisch.
»Mach, was du willst«, sagte sie mit müder Stimme. »Ich schlafe heute Nacht auf dem Gästebett im Kinderzimmer. Du kannst ja zu deiner Mama flüchten, falls du es hier nicht aushältst.«
Das Letzte hatte sie gar nicht sagen wollen, es klang so kleinlich, aber es war ihr einfach herausgerutscht. Jahrelange Bitterkeit, die sich ihren eigenen Weg bahnte.
»Vielleicht ist es ohnehin besser, wenn du nicht auf Sandhamn bleibst. Ich denke, wir sollten uns eine Weile aus dem Weg gehen.«
Sie nahm das Kaffeetablett und ging zum Haus hinauf.
[Menü]
Kapitel 83
Es war fast zehn Uhr abends. Thomas gähnte ausgiebig und stellte mit einer gewissen Zufriedenheit fest, dass er fast alle Berichte und Formulare geschrieben und ausgefüllt hatte. Diese Last war er also schon mal los. Den Poststapel hatte er auch beinahe abgearbeitet. Nur ein dicker, gepolsterter Umschlag mit handgeschriebener Adresse war noch übrig.
Er drehte ihn um. »B. Rosensjöö« stand in feinsäuberlicher Schrift auf der Rückseite.
Thomas runzelte die Stirn und sah sich den Umschlag noch einmal an. Dann griff er zur Schere und schnitt ihn auf. Er enthielt eine Menge Fotos und einen handschriftlichen Brief von Britta Rosensjöö. Ihr Fotoapparat habe sich in der Hafenmeisterei von Sandhamn angefunden, schrieb sie. Vermutlich hatte sie ihn dort an dem Tag, als Oscar Juliander ermordet wurde, abgelegt und in der ganzen Aufregung vergessen. Aber als sie ein paar Wochen später noch mal vorbeischaute, war er wieder aufgetaucht. Er lag in einem Kasten mit Fundsachen.
Hier nun die Fotoabzüge vom Gotland-Runt-Start.
Thomas versuchte, sich an das Gespräch mit Britta Rosensjöö zu erinnern, das er kurz nach dem Todesschuss auf Sandhamn mit ihr geführt hatte. Sie hatte erzählt, dass sie den ganzen Tag fotografiert hatte, und auch, dass sie ihre Kamera nicht mehr finden konnte. Danach war ihm die ganze Sache entfallen.
Schlechte Arbeit, Herr Kommissar, dachte er ärgerlich. Er hätte natürlich daran denken müssen, sie zu fragen, ob sie ihre Kamera inzwischen wiedergefunden hatte. Zum Glück war Britta Rosensjöö nicht so vergesslich.
Er rieb sich die Augen und zählte die Fotos rasch durch. Sechsunddreißig Stück. Das stimmte mit den alten Rollfilmen überein.
Die Fotos ließen sich in zwei Kategorien einteilen. Zum einen hatte sie das Startfeld aus unterschiedlichen Winkeln aufgenommen, zum anderen die Personen, die sich an Bord befanden.
Eine Flut von Bildern zeigten das Ehepaar von Hahne, Familie Bjärring, Sylvia Juliander und natürlich Hans Rosensjöö. Auf einem Foto stand Britta neben ihrem Mann, ansonsten war sie nicht mit drauf. Kein Wunder, sie hatte ja fotografiert.
Thomas versuchte, ob man einige der Zuschauerboote unterscheiden konnte, aber er konnte nichts sehen, was anders gewesen wäre als auf den Fernsehbildern, die sie schon so oft studiert hatten.
Es waren typische Urlaubsfotos, schöne Umgebung und fröhliche Menschen. Sie zeigten nichts, was er nicht schon kannte.
Er steckte den Stapel Fotos wieder in den Umschlag und legte ihn zur Seite. Er war müde und geschafft. Höchste Zeit, nach Hause zu fahren und zu schlafen.
[Menü]
Freitag, fünfte Woche
Kapitel
Weitere Kostenlose Bücher