Tod im Schärengarten
84
Thomas wachte um sechs Uhr auf. Die Sonne schien durch den Spalt zwischen Rollo und Fensterrahmen. Einen Vorteil hatte seine Zweizimmerwohnung in Gustavsberg auf jeden Fall: Sie war hell und sonnig.
Er war nicht vor Mitternacht ins Bett gekommen. Auf dem Heimweg hatte er sich eine Pizza im Zentrum von Gustavsberg gekauft. Dann hatte er es sich mit einem kalten Bier vor dem Fernseher gemütlich gemacht und die doppelte Calzone mit extra Tomatensoße gegessen.
TV 2 hatte einen alten Schinken mit Clint Eastwood gebracht, bei dem er hängen geblieben war, und als er schließlich im Bett lag, wollten seine Gedanken nicht zur Ruhe kommen. Sein Schlaf war unruhig und voller seltsamer Träume, die alle von der Ermittlung handelten. Britta Rosensjöös Fotos flimmerten vorüber wie Glühwürmchen.
Das schlechte Gewissen wegen Carina setzte ihm auch zu.
Seufzend stellte er fest, dass die Nacht ohnehin vorbei war. Er konnte genauso gut aufstehen und zum Dienst fahren.
Gegen halb acht saß Thomas an seinem Schreibtisch. Es war angenehm kühl im Zimmer. Entschlossen breitete er noch einmal den Inhalt von Britta Rosensjöös Kuvert aus.
Irgendwas nagte in seinem Unterbewusstsein.
Er sah sich die Fotos sehr konzentriert an. Gestern Abend war er so müde gewesen, dass er das kleine Datum oben in jeder Ecke kaum zur Kenntnis genommen hatte. Jetzt sah er, dass sogar die Uhrzeit dabeistand. Man konnte also genau sehen, wann das jeweilige Foto gemacht worden war.
Er sortierte die Bilder um, bis sie in chronologischer Reihe vor ihm lagen.
Das erste war gegen elf aufgenommen, ungefähr eine Stunde vor dem Start. Das letzte exakt um dreizehn Minuten nach zwölf. Dasmusste unmittelbar vor dem Moment gewesen sein, als Bjärring seine Storebro zum Polizeiboot steuerte, auf dem Thomas gewesen war.
Noch einmal studierte er die Fotos eingehend. Irgendetwas war da, was ihm bisher entgangen war.
Und dann sah er es. In aller Deutlichkeit.
Jetzt wurde ihm auch klar, warum in Britta Rosensjöös Hotelzimmer eingebrochen worden war. Der Eindringling hatte die Kamera gesucht.
Sie war das einzige Indiz, das bezeugen konnte, was passiert war.
Britta Rosensjöö hatte in der halben Stunde vor dem Start der Regatta ununterbrochen fotografiert. Auf den Bildern waren alle Gäste an Bord der Storebro, außer Britta natürlich. Aber zwischen 11:57 und 12:03 Uhr fehlte ein Passagier. Eine Person, der sie nun unzweideutig nachweisen konnten, dass sie sich nicht auf der Flybridge der Storebro befunden hatte, als Oscar Juliander erschossen wurde.
Sechs Minuten.
Lange genug, um in die Vorpiek hinunterzugehen, das Gewehr zusammenzubauen, die Luke zu öffnen und den tödlichen Schuss abzugeben. Aus einer perfekten Position, dank eines tüchtigen Skippers, der seinen Gästen die bestmögliche Sicht auf den Start bieten wollte.
Thomas spürte, wie sein Puls beschleunigte.
Ihnen hatte ein entscheidender Beweis gefehlt, um weitermachen zu können. Den hielt er jetzt in der Hand.
Er griff zu seinem Mobiltelefon, um Margit anzurufen. Hoffentlich war sie schon auf.
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Kapitel 85
»Meinst du, sie sind an einem so frühen Augustmorgen zu Hause?«, fragte Margit.
Thomas war vollauf damit beschäftigt, sich durch Östermalms Labyrinth aus Einbahnstraßen zu quälen.
»Wer sich diese Verkehrsführung ausgedacht hat, muss besoffen gewesen sein«, knurrte er, als er zum dritten Mal den Karlaplan umrundete, ohne eine Ausfahrt zu finden.
»Glaubst du, sie sind zu Hause?«, wiederholte Margit. »Vielleicht sind sie in ihrem Landhaus?«
»Was?« Thomas ignorierte das Verbotsschild und bog in die Straße ein, in der Familie von Hahne wohnte.
Er parkte den Wagen und sie liefen die Treppen hinauf. Nach mehrmaligem Klingeln wurde die Tür von einem jungen Mädchen im hellgrünen Morgenmantel geöffnet. Sie wirkte verschlafen und blickte Thomas und Margit verwundert an.
»Meine Eltern sind nicht zu Hause«, sagte sie als Antwort auf Thomas’ Frage. »Sie sind verreist.« Sie lächelte freundlich.
Das musste Emma sein, dachte Margit. Mit ihren blonden Haaren und den klaren Gesichtszügen ähnelte sie ihrem Vater. Elegant und selbstbewusst. Aber unschuldig. Vorläufig.
»Weißt du, wo sie sind?«, fragte Margit.
»Auf der Jagd. Bei den Bjärrings. Sie haben ein Landhaus nicht weit von Katrineholm.«
»Jagd?«, echote Margit überrascht. »Um diese Jahreszeit? Ich dachte, die beginnt erst im September.«
Emma lachte. Ein helles Mädchenlachen,
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