Tod im Schärengarten
ganz astrein war.«
»Warum glauben Sie das?«, fragte Margit.
»Weil er in der letzten Zeit so unruhig wirkte. Ständig auf Hochtouren lief. Oscar hatte ja immer tausend Eisen im Feuer, aber es war etwas Gehetztes an ihm, was ich nicht von ihm kannte. Ich dachte schon, er nimmt …« Winbergh verstummte.
»Nimmt was?«, sagte Thomas. Er wollte ihm die Worte nicht in den Mund legen.
»Keine Ahnung. Drogen vielleicht.« Fredrik Winbergh klang bedrückt.
»Drogen? Woran denken Sie dabei?«
Winbergh zuckte unsicher mit den Schultern.
»Oscar war kein Waisenknabe, was Alkohol anging. Aber ich hatte ihn oft genug abgefüllt erlebt, um zu merken, wann er getrunken hatte. Und in den Situationen, an die ich denke, stand er nicht unter Alkohol.«
»Wieso sind Sie sich da so sicher?«, fragte Margit.
»Es war etwas in seiner Persönlichkeit, das sich veränderte, und zwar auf eine andere Art, als wenn er Alkohol trank.« Winbergh strich sich bekümmert übers Haar. »Er wurde einfach noch mehr Oscar, ich weiß nicht, wie ich es anders ausdrücken soll. Furchtbar eloquent, noch dominanter als sonst. Beinahe manisch. Und außerdem …«
»Außerdem?«, drängte Margit. Sie beugte sich über den Tisch vor und fing seinen Blick ein, sodass er nicht ausweichen konnte.
»Ich weiß nicht … Möglicherweise bilde ich mir das nur ein, aberes war etwas, was er sagte, eines späten Abends, als wir im Cockpit der Emerald Gin saßen.« Er schwieg. »Er sprach davon, welche Unmengen es ihn kostet, diesen Kahn zu unterhalten. All die Ausgaben, die er hatte, und dass er unbedingt andere Wege zur Finanzierung des Lebens finden musste als die, die vom Staat vorgesehen waren.«
»Und das ist Ihnen in Erinnerung geblieben?«, fragte Margit.
Fredrik Winbergh nickte widerstrebend, so als verabscheute er jedes Wort, das er gerade gesagt hatte. Und dennoch konnte er es nicht lassen, weiterzusprechen.
»Ja, weil es so untypisch für Oscar war.«
»Inwiefern?«, sagte Margit.
»Er war ja Rechtsanwalt. Er hatte fast alles an Lug und Betrug gesehen, was es gab. Er konnte tausend Geschichten darüber erzählen, was die Leute sich alles einfallen ließen, um den Staat zu bescheißen oder ihre Gläubiger zu hintergehen. Dass er auch nur andeutete, selbst in dieser Richtung zu denken, war so fremd für ihn. Das war überhaupt nicht mehr der Mann, den ich kannte.«
»Was ist dann passiert?«, fragte Thomas.
»Nichts«, sagte Fredrik Winbergh. »Es war spät, wir hatten viel getrunken. Am nächsten Morgen war alles vergessen. Aber jetzt …« Er breitete hilflos die Arme aus.
»Jetzt fällt es Ihnen wieder ein«, sagte Margit leise.
»Ja. Das hat mir gestern gar keine Ruhe gelassen. Ich habe mich gefragt, ob er es ernst gemeint hatte. Ob er etwas Kriminelles getan hatte, was einen anderen dazu veranlasste, ihn umzubringen.«
Er sah unglücklich zu Margit und Thomas, zerrissen zwischen der Loyalität zu einem alten Freund und dem Wunsch, der Polizei bei der Suche nach dessen Mörder zu helfen.
»Ich habe fast fünfunddreißig Jahre mit Oscar zusammen gesegelt. Seit unserer Studentenzeit. Und er ist buchstäblich in meinen Armen gestorben.«
Seine Stimme brach, und er ballte die Fäuste in dem Versuch, nicht die Beherrschung zu verlieren.
»Wie er da am Ruder stand, voller Leben, mit einem strahlenden Lachen. Unbesiegbar. Und auf einmal bricht er einfach zusammen, direkt vor meinen Füßen. Sie ahnen ja nicht, wie sich das anfühlt.«
Er sah Thomas an und schlug mit der Faust auf den Tisch.
»In meinem ganzen Leben war ich noch nie so hilflos. Können Sie sich vorstellen, was das für ein Gefühl ist?«
Thomas erwiderte seinen Blick.
Er hatte den leblosen Körper seiner drei Monate alten Tochter in den Armen gehalten und nichts, absolut nichts tun können.
Er wusste genau, was für ein Gefühl das war.
[Menü]
Kapitel 10
Das Ehepaar von Hahne war als Nächstes an der Reihe. Während Margit und Thomas sich eine Pause gönnten, hatte jemand die leeren Wasserflaschen und benutzten Gläser abgeräumt. Die Fenster waren zum Lüften geöffnet worden, aber der Temperaturunterschied fiel nicht ins Gewicht. Es war immer noch warm und feucht im Zimmer, und Thomas merkte, wie ihm das Poloshirt am Rücken klebte.
Ingmar von Hahne sah dagegen wie aus dem Ei gepellt aus. Er trug ein kurzärmeliges Hemd und Khakishorts mit Bügelfalte. Wortgewandt begann er das Gespräch mit einer Beschreibung seiner Arbeit als Kunsthändler, Spezialgebiet
Weitere Kostenlose Bücher