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Tod im Staub

Tod im Staub

Titel: Tod im Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian W. Aldiss
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der Offizier vor uns.
    »Wie ich höre«, sagte er, »befindet sich unter euch der notorische Vagabund, der als Jess bekannt ist und für dessen Ergreifung eine Belohnung ausgesetzt ist. Wer von euch ist Jess? Er melde sich sofort!«
    Niemand bewegte sich. Ich begann, meinen Kopf in die Richtung zu drehen, wo Jess stand, aber sofort stieß mich jemand scharf in den Rücken, und ich erstarrte. Schweigen.
    »Tritt vor, du feiger Hund! Wir werden an dir ein Exempel statuieren!«
    Noch immer rührte sich niemand. Ich fühlte, wie meine Beine zitterten.
    »Nun gut«, bellte der Offizier. »Die Hinrichtung wird aufgeschoben. Statt dessen werdet ihr alle zum Verhör in die Untere Stadt gebracht. Vielleicht wissen einige von euch, was das bedeutet.«
    Ich sollte wohl erklären, daß die Untere Stadt jenes weit ausgedehnte Gebiet ist, das den Städten für verschiedene Zwecke dient, zum Beispiel für die Abfallvernichtung und als Müllhalde, und daß sie sich unterhalb der großen Plattformen befindet, auf der die Städte erbaut sind. Dort pflegt die Polizei ihr Hauptquartier für die Befragung von Gefangenen zu haben, und über die Methoden, mit denen die Verhöre geführt werden, gab es schreckliche Gerüchte.
    »Ich gebe euch eine letzte Chance. Jess muß sich sofort zu erkennen geben.«
    Diese Drohung verhallte nicht ungehört. Einer der Männer trat vor. Dann ein anderer. Dann noch einer und noch einer, bis alle Wanderer, einschließlich Frauen, vorgetreten waren. Ich wurde mit nach vorn gedrängt.
    Der Offizier lief rot an, beherrschte sich jedoch. Er deutete mit dem Finger auf den Wanderer, der ihm am nächsten stand: »Wie heißt du?«
    »Ich bin Jess.« In Wirklichkeit hieß der Mann Burgess.
    Der Offizier fragte einen zweiten, dann einen dritten. Sie gaben die gleiche Antwort: »Ich bin Jess.« Sie wollten ihren Anführer vor einem qualvollen Tod schützen.
    Jetzt war der Offizier von eiskalter Ruhe.
    »Nun, gut«, sagte er. »Ich werde den Robotern befehlen, auf eure Beine zu schießen. Ihr werdet alle hier liegen und ganz langsam sterben. Der einzige, dem dieser Tod erspart bleibt, ist derjenige, der mir zeigt, wer Jess ist.«
    Was für ein schändlicher Auftritt! Wie oft habe ich mich seit damals gefragt, weshalb man das ganze Leben eines Menschen nach einer einzigen Minute beurteilen sollte. Und dann frage ich mich, warum eigentlich nicht? Ja, warum sollte er nicht nach diesem Maßstab beurteilt werden, wenn ich selbst der Richter bin und die Kriterien bestimmen kann?
    Ich rannte auf den Offizier zu, schrie, daß ich es sagen würde, schrie, daß ich nicht zu den anderen gehörte, daß ich kein Wanderer sei.
    Sie waren schlau, diese Wanderer! Obwohl man sie durchsucht hatte, war es zwei von ihnen gelungen, in ihrer Kleidung ein Wurfmesser zu verstecken. Jetzt schleuderten sie die Messer auf mich.
    Der grimmige und so selbstsichere Offizier hatte nicht ahnen können, daß er seinen eigenen Tod heraufbeschwor, als er nach einem Verräter rief. Vor Angst gaben meine Beine nach, und ich taumelte, als ich vorwärts rannte. Ich hörte die Messer an mir vorbeizischen. Beide trafen den Offizier in der Brust.
    Ruckartig riß er die Hände hoch und klatschte sie gegen sein Gesicht, so daß die Brille davonflog. Sein massiges Gesicht verzerrte sich, und er fiel vornüber. Noch ehe er auf dem Fußboden aufschlug, hatte der geistesgegenwärtigere der Wachtposten den Teufeln einen Befehl zugeschrien. Sie eröffneten sofort das Feuer auf die Wanderer. Oh, Nan! Oh, Jess!
    Als alles vorbei und das letzte Echo erstorben war, führte man mich in die Dunkelheit hinaus. Dort stand der Gleiter, daneben ein anderer Offizier. Ich erinnere mich, daß ich ihm ins Gesicht sah und dachte, daß er noch verängstigter aussähe als ich selbst. Man legte mir Handschellen an und stieß mich in den Gleiter.
    Über das, was sich in den folgenden Wochen abspielte, kann ich keine Einzelheiten angeben. Für mich sind es immer Wochen gewesen, obwohl es in Wirklichkeit ebensogut Tage wie Monate gewesen sein könnten. Im Zentrum der Unteren Stadt, wohin man mich gebracht hatte, war es selbst unter den günstigsten Bedingungen schwierig, Tag und Nacht voneinander zu unterscheiden. Ich wurde drei langen Verhören unterzogen und im übrigen in einer Einzelzelle mir selbst überlassen. Die Zelle hatte kein Fenster, wohl aber eine Toilette und eine Pritsche und war geheizt - zum Glück, denn ich hatte mich bei meiner Ankunft splitternackt ausziehen müssen

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