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Tod im Staub

Tod im Staub

Titel: Tod im Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian W. Aldiss
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Hause waren. Aber in den Straßen sah ich Dinge, die ich lieber nicht gesehen hätte.
    Als erstes fiel mir auf, wie die Stadt angelegt war. Ich sah, daß durch die Versorgungswege unter der Plattform all die Lieferwagen und städtischen Fahrzeuge, die einstmals diese Straßen belebt hatten, überflüssig geworden waren; jetzt gab es nur noch automatisch gesteuerte Fahrzeuge, die alle unter der Stadt fuhren. Auch die Privatfahrzeuge hatten den öffentlichen Transportmitteln weichen müssen. Als Folge davon gab es kaum Verkehr auf den Straßen, und die Fahrbahnen waren schmal.
    Die Straßen waren von den Häusern der Bürger, der Plebejer, gesäumt. Eigentlich wirkten sie eher wie Baracken. Sie zogen sich über die ganze Stadt, sie waren die Stadt, denn die Stadt hatte kein Zentrum mehr, sondern war in Bezirke aufgeteilt, von denen keiner den Vorrang vor einem anderen hatte. Die Verwaltungsgebäude unterschieden sich in nichts von den plebejischen Unterkünften, in denen die Arbeiter hausten. Nur hier und da wurde die trostlose Einförmigkeit von einer häßlichen Fabrik oder einem unförmigen Versorgungsschuppen unterbrochen.
    Eine der Fabriken, an denen wir vorbeikamen, ein großer, schwarzer, fensterloser Block, war eine Kulturerde-Fabrik, wo man synthetische Mikroorganismen in den Sand injizierte, den wir von Afrikas glutheißer Küste nach Hause brachten.
    Aber die Menschen, die Menschen, zu denen ich gehörte! Voller Aufmerksamkeit wandte ich ihnen mein Interesse zu und bemerkte zum erstenmal, wie unterjocht und entpersönlicht sie waren. Immer mehr wurden die städtischen Befugnisse von Maschinen übernommen und immer mehr sahen die Menschen wie Maschinen aus. An einem ausgemergelten Körper zeichneten sich die Gelenke und Sehnen und die langen Knochen so plastisch ab, daß er sich kaum von einem gewöhnlichen Roboter unterschied.
    Aber Roboter bekommen niemals einen dieser schrecklichen Hautausschläge. Roboter haben keine durch Beriberi aufgequollenen Bäuche. Sie haben niemals nässende Geschwüre und Skorbut. Sie haben niemals durch Rachitis verkrümmte Wirbelsäulen, oder Kniegelenke, die bei jedem Schritt einknicken. Sie sind nicht fähig, mutlos dahinzuschlurfen. Sie haben keine Muskeln, die atrophieren, und keine Herzen, die brechen können. Ich hatte vergessen, ich hatte vergessen!
    Viele dieser tragischen Gestalten trugen Amulette zum Schutz gegen Krankheiten. Die meisten von ihnen praktizierten düstere Kulte und Religionen. Für die Primitiveren unter ihnen waren Orgien ein wichtiger, wenn auch selten genossener Bestandteil ihres Lebens; der Samenerguß war eng mit der Vorstellung von der lebenswichtigen Fruchtbarkeit des Bodens assoziiert, von dem sie für alle Zeiten abgeschnitten waren. Die Elite - denn jeder Ameisenhaufen hat seine Aristokraten - huldigte einem strengen Kult, der den Geschlechtsverkehr mit der Begründung verbot, daß die Welt schon unter zu vielen Menschen stöhnte: »Laßt die Erde selbst für eine Verminderung sorgen!« war ihr Motto.
    All das sah ich; und ich weinte so sehr, daß ich das Steuerrad loslassen mußte, und ein Mitglied der Mannschaft, das neben mir stand, übernahm es. Der Mann steuerte einen wilderen Kurs als ich. Er fuhr uns von einer Stadt zur anderen, und zwar nicht nur in England; wir kamen nach Schottland, durchquerten die skandinavischen Länder, dann ging es auf den europäischen Kontinent, weiter durch die Wildnis Rußlands nach China und schließlich nach Amerika. Die Städte glitten unter unserem Kiel dahin wie Pflastersteine unter dahineilenden Füßen, und keine Stadt unterschied sich in ihrer Trostlosigkeit und Eintönigkeit von der anderen. In allen diesen Städten darbten und starben und hofften und hungerten die Menschen, jener endlose Strom von Menschen. Es war, als ob das ekstatische Zucken ihrer Lenden, mit dem sie Duplikate ihrer selbst zeugten, ein Teil des universellen Todeskampfes war.
    »Genug!« schrie ich.
    Sofort verschwanden die Städte, und an ihre Stelle trat das Meer, das Meer bei Nacht, eine dunkle, sacht wogende Wasserfläche, von der ein unaufhörliches Grollen aufstieg. Erleichtert drehte ich mich zu der dunklen Gestalt am Steuer um. Es war der Doppelgänger, das Phantom!
    Unsere Blicke trafen sich. Es schien nur Augen zu haben, kein Gesicht - und doch hatte es ein Gesicht, denn ich erkannte zum erstenmal, daß ich selbst es war, ein Spiegelbild meiner selbst, das mir wie aus einem öligen Sumpf verschwommen entgegenstarrte,

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