Tod im Tal der Heiden
nicht behaupten, du hättest mich in der Nähe der Leiche gesehen.«
Fidelma beschloß, den Hieb zu ignorieren. Sie wollte doch erfahren, was Murgal ermittelt hatte.
»Wer war denn nun der Schuldige?« fragte sie.
»Na, Artgal natürlich.«
»Dann hat man also Artgal aufgespürt, und er hat gestanden?«
»Nein«, antwortete Orla. »Aber sein Verschwinden ist ein Eingeständnis seiner Schuld.«
Fidelma senkte nachdenklich den Kopf. Sie schwieg eine Weile, ehe sie wieder zum Sprechen ansetzte.
»Es stimmt, daß Artgals Verschwinden ihn in ein schlechtes Licht rückt. Daraus kann man jedoch nur folgern, daß es seiner Sache nicht nützt. Weiter zu gehen und zu sagen, es sei ein Eingeständnis seiner Schuld, legt das Gesetz zu weit aus.«
»Mir erscheint es logisch«, knurrte Orla. »Der christlicheMönch hat Artgal bestochen. Als das ans Licht kam, tötete Artgal den Mönch, um ihn daran zu hindern, alles zu sagen, was er wußte.«
»Die Logik geht nicht auf, denn Artgal hatte seine Schuld schon eingestanden«, meinte Fidelma.
»Außerdem«, fügte Eadulf hinzu, »kann Nemon jederzeit bezeugen, daß Bruder Dianach ihr die Kühe abgekauft hat, um sie Artgal zu schenken, und Artgal hat bereits zugegeben, daß er sie erhalten hat.«
»Du solltest deinen Begleiter besser über die Gesetze der Brehons unterrichten«, meinte Orla mitleidig.
Eadulf blickte Fidelma fragend an.
»Eine Prostituierte kann vor Gericht nichts bezeugen«, erklärte ihm Fidelma leise. »Nach dem
Berrad Airechta
kann eine Prostituierte keine Aussage gegen irgend jemanden machen. Folglich wäre eine Aussage Nemons vor Gericht nicht gültig.«
»Aber Murgal ist ihr Pflegevater, und Murgal ist ein Brehon. Das ist doch unsinnig. Bei so einem mächtigen Pflegevater müßte Nemon doch ein paar Rechte in dieser Sache haben?«
»So lautet unser Gesetz, Angelsachse«, fauchte Orla.
»Auch wenn es das Gesetz ist, es macht die Wahrheit nicht weniger wahr«, entgegnete Eadulf fest.
»Dura lex sed lex«
, sagte Fidelma seufzend und wiederholte auf lateinisch fast dieselben Worte, die Murgal ihm einmal entgegengehalten hatte. »Das Gesetz ist hart, aber es ist das Gesetz … Jedenfalls zur gegenwärtigen Zeit. Ich habe gehört, Abt Laisran von Durrow will einen Zusatz zu diesem Gesetz vorschlagen, wenn der Große Rat das nächste Mal zusammentritt …«
»Er hat keine Chance, einen Zusatz durchzubringen, der Prostituierten das Recht gibt, vor Gericht auszusagen«, meinte Orla verächtlich.
»Das hängt von dem Großen Rat ab, der im nächsten Jahr in Uisneach tagt.«
Orla schwieg eine Weile und dachte nach.
»Nun«, sagte sie schließlich, »was auch die Zukunft bringt, Brehon Murgal ist sich sicher, daß mit Artgals Verschwinden der Fall abgeschlossen ist. Wir können davon ausgehen, daß Artgal Dianach getötet hat und aus dem Tal geflohen ist.«
»Das kommt sehr gelegen«, murmelte Fidelma.
»Mehr ist dazu nicht zu sagen.«
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht.«
Orla starrte Fidelma ein paar Augenblicke zornig an und wollte schon etwas entgegnen, überlegte es sich aber anders und zuckte die Achseln. Schweigend erreichten sie den
rath
Laisres von Gleann Geis.
KAPITEL 18
Sie ritten in Laisres
rath
ein. Dieselben beiden Stallburschen, die sie bei ihrer ersten Ankunft begrüßt hatten, nahmen ihnen die Pferde ab. Erst jetzt redete Orla wieder mit ihnen.
»Laisre und Murgal wollen euch sofort sprechen. Sie sind im Ratssaal«, teilte sie ihnen kurz angebunden mit.
Weder Fidelma noch Eadulf sagten ein Wort, während sie Orla in den Ratssaal folgten.
Laisre saß in seinem Amtssessel, ihm gegenüber Murgal und Colla. Die drei waren offenbar in ein ernstes Gesprächvertieft. Sie schauten verblüfft auf, als Orla Fidelma und Eadulf hereinführte. Laisre stand die Abneigung ins Gesicht geschrieben, als sein Blick dem Fidelmas begegnete. Colla schien ein wenig überrascht von ihrem Erscheinen, während Murgals Miene spöttische Belustigung spiegelte.
»So«, sagte Laisre mit stiller Befriedigung, »du hast also unsere Flüchtlinge eingefangen, Orla?«
Fidelma zog verächtlich die Brauen hoch.
»Eingefangen? Hast du befohlen, mich festzunehmen, Laisre? Wenn ja – warum? Und wieso sollten wir geflohen sein?«
»Ich traf Fidelma und den Ausländer, als sie hierher zurückritten«, schaltete sich Orla hastig ein. »Fidelma sagte, hätte Murgal gründlicher nachgedacht, dann hätte er wissen können, weshalb sie den
rath
verlassen
Weitere Kostenlose Bücher