Tod im Tauerntunnel
Gewitter hat kaum Abkühlung gebracht. Die Sonne bricht wieder durch und gibt ein unangenehm gleißendes weißes Licht.
Bienzle ordnet an, daß Geza Korbut noch einmal vorgeführt wird. Einstweilen trinken er, Gächter und Irene Korbut schweigend ihren Kaffee.
Ein Registraturbeamter bringt einen Stapel Fotokopien herein. Bienzle will das Papier achtlos zu den anderen Akten und Unterlagen schieben, dann merkt er, daß es sich um Angaben zur Person Grüners handelt. Wie zu sich selbst zitiert er:
»Sechsmal vorbestraft, Körperverletzung, Raubüberfall, wieder Körperverletzung, Diebstahl, Fahren ohne Führerschein und wieder Körperverletzung... Ein rauher Bursche!« Er greift zum Telefon und wählt die erkennungsdienstliche Abteilung.
»Bienzle hier... Sind schon Fingerabdrücke aus der Wohnung der Korbut da?« Und nach einer Weile: »Gut, schaut euch mal zum Vergleich die Prints eines Max Grüner, alias Anton Heinrich, alias Maximilian Führer an... Ich hab hier Kopien; im Archiv müssen die Originale oder doch bessere Kopien sein.«
Irene Korbut bewegt sich in Bienzles Bürosessel. »Ich will einen Anwalt.«
»Sie können mein Telefon benutzen.«
Sie rührt sich nicht.
Geza Korbut wird gebracht.
»Sie haben sich als äußerst kooperativ erwiesen«, sagt Bienzle freundlich; »wir brauchen noch mal Ihre Hilfe.«
»Bitte«, sagt Korbut und setzt sich auf den Schreibtischrand; dabei fährt er mit der Hand leicht über das Haar seiner geschiedenen Frau und sagt: »Tut mir leid.«
Sie schüttelt unwillig den Kopf.
Gächter fragt: »Können Sie sich vorstellen, wo wir vielleicht Max Grüner auftreiben könnten?«
Korbut zuckt die Achseln.
»Er hat versucht, Ihre frühere Frau zu ermorden«, sagt Bienzle.
»Klingt wie eine Finte.«
»Es ist wahr«, sagt Irene Korbut.
»Dieses Schwein!« Korbut haut auf Bienzles Schreibtisch. »Warum hat er das getan?«
Bienzle kratzt sich am Kopf. »Das wissen wir ja gerade nicht. Er ist ziemlich heftig mit Ihrer... mit Frau Korbut umgesprungen; er hat die Werkstatt auseinandergenommen, den Gashahn aufgedreht, die elektrische Leitung präpariert - und dann muß ich ihm irgendwie dazwischen gekommen sein... Offensichtlich hat er sich im Keller versteckt, während ich die Tür aufbrach. Er hat mich mit eingesperrt und versucht, den Raum in die Luft zu jagen.«
»Das kann doch nicht...« Korbut schüttelt ungläubig den Kopf.
Gächter läßt ihn nicht weiterreden. »Vor ein paar Wochen hat Grüner Sie gebeten, ihn zu Ihrer Exfrau mitzunehmen. Er gab vor, Schmuck kaufen zu wollen.«
»Hat er ja auch getan.«
»Ja, das wissen wir. Aber wir denken uns, daß dies nicht der eigentliche Grund seines Besuchs war. Wir nehmen an, daß Grüner etwas ausbaldowern wollte.«
»Und wir haben Grund zu der Annahme«, ergänzt Bienzle, »daß auch Frau Jarosewitch aus ähnlichen Motiven in der Schmuckboutique aufgetaucht ist, und zwar gleich zweimal hintereinander.«
»Das verstehe ich alles nicht...«
»Wir ja auch nicht; wir sind lediglich auf Spekulationen angewiesen«, brummt Bienzle.
»Und dann ist da noch etwas«, sagt Gächter; »es scheint so, als ob es eine Verbindung zwischen Frau Korbut und Herrn Dr. Bäuerle gibt, über die sich Ihre Frau ausschweigt - Ihre ehemalige Frau, meine ich...«
Korbut schaut auf Irene hinab; ganz offensichtlich überrascht ihn die letzte Eröffnung. »Was ist damit?« fragt er.
»Ich sage nichts mehr«, sagt sie.
»Aber damit machst du dich doch nur verdächtig!«
»Kann schon sein...« Sie wendet sich ab.
Bienzle schwitzt. Er geht im Zimmer auf und ab und beobachtet das einstige Ehepaar. Vor solchen Momenten fürchtet er sich. Er ist an einem toten Punkt angelangt und weiß nicht, wie er weitermachen soll. Bäuerle, der Biedermann, steckt irgendwie mit drin, aber bevor er es nicht beweisen kann, kommt er dem nicht bei, das ist klar. Und warum - wenn Bäuerle dazugehört - wurde er dann von Breda überwacht? Was hat der Rechtsanwalt in Jarosewitchs Büro gesucht? Worauf waren Frau Jarosewitch und Grüner aus bei ihren Besuchen in der Degerlocher Goldschmiedewerkstatt?
Dieser Fall besteht nur aus Rätseln. Und Bienzle mag solche Fälle nicht. Normalerweise hat er es mit Morden zu tun, die nicht in dieser gesellschaftlichen Schicht angesiedelt sind. Sein tägliches Brot sind erschlagene Nutten oder erschossene Zuhälter; Gastarbeiter, die aus Eifersucht die Nerven verlieren und mit dem Messer aufeinander losgehen. Morde passieren vor allem
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