Tod im Weinkontor
Knie.
Anne lag wie gelähmt am Boden. Die verbliebenen
Räuber ließen von ihrer Beute ab, die sich als zu
mächtig für sie erwiesen hatte, und flohen. Die
Soldaten gingen die Reihen ab. Drei ihrer Genossen waren im Kampf
gestorben, des Weiteren zwei Kutscher und zwei Kaufleute –
und Anton.
Elisabeths Feind war aus seiner Deckung hervorgekommen.
Nachdem die Toten ein christliches Begräbnis erhalten
hatten, was zwei Tage in Anspruch nahm, setzte sich der Zug
wieder in Bewegung. Elisabeth und Anne hatten Angst vor der
Abgeschlossenheit des Wagens und reisten auf dem Kutschbock.
Immer wieder warfen sie ängstliche Blicke zurück. Anne
sagte nichts mehr; das Entsetzen und der Verlust der aufkeimenden
Liebe hatten sie überwältigt. Trauer und Grauen machten
den ganzen Zug stumm. Und Elisabeth hatte Angst vor dem dunklen
Ziel ihrer Reise.
ZWEIUNDZWANZIG
War Dulcken, den Andreas seit dem Zusammentreffen auf dem
Neumarkt nicht mehr in seine Überlegungen einbezogen hatte,
eine Schlüsselgestalt in diesem vertrackten Mysterium?
Andreas wollte unbedingt noch einmal mit ihm reden, doch wo
sollte er ihn finden? Hatte er überhaupt noch ein Dach
über dem Kopf? Die Vorstellung, diese Jammergestalt
könnte das Leyendecker’sche Handelshaus leiten,
erschien Andreas immer absurder. In jeder freien Stunde ging er
zum Neumarkt, quälte sich an den vielen Pferchen mit
blökendem, quiekendem und brüllendem Vieh vorbei und
hielt nach Dulcken Ausschau. Doch der hinkende Krämer
ließ sich nirgendwo blicken. Andreas streunte durch die
angrenzenden Gassen und Straßen, ging zu Sankt Aposteln,
trat in den Schatten der drei Rotunden mit den Rundbögen,
die so viel zarter waren als die massige Architektur von Sankt
Kolumba, ging an den kleinen Fachwerkhäusern entlang, die
sich an die Kirche schmiegten, lauschte dem Lärm der
Handwerker, dem Schnattern der Gänse und dem Rufen der
mächtigen Glocken und hätte beinahe den Grund für
seinen Spaziergang vergessen. Er stellte wieder einmal fest, wie
sehr er diese Stadt doch liebte – ihre Lebhaftigkeit, ihre
ansehnlichen Häuser, die vielen Kirchen, wegen denen man die
Stadt auch das Heilige Köln oder das Rom des Nordens nannte,
und die Menschen, die wie das Salz in der Suppe waren. Auch wenn
es da einige gab, die diese Suppe zu versalzen drohten.
Johannes Dulcken zum Beispiel.
Der Krämer blieb unauffindbar.
Es dauerte eine Woche, bis Andreas geradezu über ihn
stolperte. Er war zur theologischen Fakultät im Kapitelhaus
hinter dem Dom unterwegs, wo er noch einmal Pfarrer Hülshout
vertreten und eine Vorlesung über das kanonische Recht
halten sollte, als ihm Dulcken in Begleitung des
vierschrötigen Kerls, mit dem zusammen er die Witwe
Leyendecker besucht hatte, entgegenkam. Andreas war schon
spät dran und musste sich sputen, wenn er rechtzeitig zu
seiner Vorlesung kommen sollte. Doch die Entscheidung war sofort
gefällt. Er sprach Dulcken offen an. Der abgerissene Mann,
der seinen Bauchladen nicht mehr dabeihatte, dafür aber
immer noch über und über mit Amuletten behängt
war, blieb verdutzt stehen und erkannte Andreas offenbar nicht.
Der große, rothaarige Mann neben ihm nahm sofort eine
Angriffsstellung ein.
»Wisst Ihr nicht mehr, wer ich bin?«, fragte
Andreas frei heraus. »Ihr habt mir interessante Dinge
über Ludwig Leyendecker erzählt.« Es war nicht zu
übersehen, dass Dulcken sich nun erinnerte.
»Und?«
»Ich würde mich gern noch einmal mit Euch
unterhalten.«
»Wir haben nicht Zeit«, brummte der Rothaarige in
schlechtem Deutsch.
»Es dauert nicht lange«, versuchte Andreas ihn zu
beschwichtigen. Er schaute hoch zu einer Madonnenfigur, die in
der Nische eines großen Steinhauses unmittelbar vor ihm
stand. »Heilige Maria, vergib mir meine Säumigkeit den
Studenten gegenüber«, betete er stumm und wandte sich
dann wieder an Dulcken. »Ihr wollt den Weinhandel Ludwig
Leyendeckers übernehmen?«
Dulcken kniff die Augen zusammen. »Wer sagt
das?«
»Ludwigs Witwe.«
Dulcken hinkte einen Schritt zurück. »Ist es
verboten, Handel zu treiben?«
»Natürlich nicht«, wehrte Andreas ab. Er
bemerkte, wie der Fremde die Muskeln anspannte. »Ich
wundere mich nur, woher Ihr das Geld nehmt.«
»Ist meins«, sagte der Fremde mit hartem Akzent.
»Ich gebe, und John schuldet mir.«
»Eine günstige Gelegenheit, nicht wahr?«,
meinte Andreas.
»Allerdings. Das Unternehmen ist
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