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Tod in Blau

Tod in Blau

Titel: Tod in Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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Ihnen aufweist und auf der Sie in unzüchtigem
     Kontakt mit einem jungen Mann dargestellt sind. Dieser Zeuge sagt
     weiterhin aus, dass Sie ihn verfolgt, bedroht und entführt haben, da
     Wegner ihm seine Zeichnung anvertraut hatte, bevor man ihn ermordete. Wir
     wissen außerdem, dass die Tänzerin Thea Pabst Ihnen von
     ebendieser Zeichnung erzählt hat.«
    Vom Hofe war instinktiv einen
     Schritt vorgetreten, als wollte er Leos Vorwürfe abwehren. »Aber
     diese Spekulationen beruhen doch einzig auf der Annahme, dass ich es bin,
     der auf dieser obskuren Zeichnung dargestellt ist.«
    Leo zog seelenruhig seine
     letzte Trumpfkarte. »Nein, Herr vom Hofe, Spekulation würde ich
     das nicht nennen.« Er holte ein gefaltetes Blatt aus der
     Manteltasche und begann vorzulesen:
     
    »27. August 1916«
    Ein Tag wie kein anderer.
     Heute habe ich etwas erlebt, das mich mehr erschüttert hat als die
     grausamsten Schlachten des Krieges, mehr als das Gemetzel, das seit
     nunmehr zwei Monaten hier an der Somme sinnlos hin und her wogt. Man
     schickte mich am frühen Abend zum Requirieren in ein Dorf ein Stück
     weit hinter unseren Linien. Ich schlenderte die Straße entlang. Als
     ich losging, war es noch recht hell, doch nun hatte die Sonne fast den
     Horizont erreicht. Mir fiel ein entlegenes Gehöft auf, dessen Wiesen
     besonders saftig und dessen Obstbäume besonders üppig wirkten.
     Wie auf einem Gemälde, dachte ich noch. Also ging ich hin, um dort
     Obst für unsere Kompanie zu besorgen.
    Es war unheimlich still.
     Niemand schien zu Hause zu sein. Ich näherte mich dem Anwesen und hörte,
     als ich nur noch wenige Schritte von der Tür entfernt war, ein leises
     Wimmern. Ein Kätzchen, dachte ich und trat ein, um nach dem Tier zu
     sehen. Darauf steigerte sich das Wimmern zu einem Geheul, ich konnte
     undeutliche französische Laute vernehmen, sie klangen wie non,
     laissez-moi, non, non. Ich ging durch einen kühlen, dunklen Flur, der
     Stimme nach. Eine angelehnte Tür. Vorsichtig schaute ich hinein.
     Durchs Fenster fiel ein blauer Schein und tauchte den Raum in ein
     unwirkliches Licht.
    Ich weiß noch, es
     duftete herzhaft nach geräuchertem Fleisch - eigenartig, welch
     unwichtige Dinge man wahrnimmt, obwohl der ganze Verstand auf etwas
     anderes gerichtet ist.
    Ein Offizier, einer der
     unseren, drückte einen etwa vierzehnjährigen Jungen über
     einen Tisch, die Arme ausgebreitet, den Kopf aufs Holz gepresst. Er war
     zart, mit leicht gebräunter Haut und dunklen Locken. Er trug ein
     himmelblaues Hemd.
    Dieser Junge war es, der
     die Laute ausstieß. Seine Hose war ihm bis auf die Holzpantinen
     gerutscht, und der Offizier missbrauchte ihn roh. Mir wurde übel von
     dem Anblick, doch ich getraute mich nicht, einzugreifen. Ich eilte hinaus,
     als wäre der Teufel hinter mir her.
     
    Ohne auf die Reaktion der Männer
     zu achten, drehte Leo das Blatt um. »Unter dem Datum 3. September
     1916 fanden wir noch den folgenden Zusatz:
     
    Nun weiß ich auch
     den Namen: Major Richard vom Hofe, 1. Garderegiment zu Fuß. So sieht
     also die Elite unseres Vaterlandes aus. Dieses Bild hat sich mir
     eingebrannt, ich werde es nie vergessen.
    Und ich frage mich nun
     seit jenem Tag: Warum habe ich dem Jungen nicht geholfen? Warum habe ich
     zugesehen, wie solch schreckliches Unrecht geschah? War es die Angst vor
     dem vorgesetzten Offizier, dem Vertreter der Macht? Wohl kaum. Eher mag es
     sein, dass der Krieg als solcher die Menschen abstumpfen und verrohen lässt,
     so dass meine erste Regung Flucht statt Hilfe war. Ich wünschte, ich
     könnte es ungeschehen machen.
     
    Die Frage nach dem Alibi können
     Sie im Präsidium beantworten.« Leo wandte sich noch einmal zu
     von Mühl, in dessen Gesicht Wut und Zweifel miteinander kämpften.
     »Auf Wiedersehen«, sagte er knapp.
    »Darf ich mich noch von
     Major vom Hofe verabschieden?« Leo nickte und zog die Handschellen
     aus der Tasche. »Aber beeilen Sie sich.«
    Von Mühls Bewegung war
     fließend. Ein Griff in die Schublade, etwas Graues schimmerte in der
     Luft, vom Hofe griff danach. Trat einen Schritt zurück, hob den
     Revolver an die Schläfe und drückte ab.

25
    Dezember 1922
    »Den Selbstmord können
     wir wohl als Geständnis werten«, sagte Leo und schob seinen
     Stuhl vom Schreibtisch zurück. »Von Mühl kommt natürlich
     davon, dafür werden seine Beziehungen schon sorgen. Na ja, immerhin
     ist damit eine Last von dem Jungen genommen, ein

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