Tod in Blau
Auftritt vor Gericht
bleibt ihm erspart.«
»Was soll jetzt aus ihm
werden?«, fragte Robert und formulierte damit einen Gedanken, der
Leo schon die ganze Zeit im Kopf herumging. Paul Görlich war ein anständiger
Kerl, der etwas Besseres verdient hatte als das lieblose Elternhaus mit
dem gewalttätigen Vater. Andererseits lebten viele Kinder unter
solchen Bedingungen, und es war schwierig, die Behörden davon zu
überzeugen, ein Kind zu fremden Pflegeeltern zu geben.
»Wir könnten
darauf hinweisen, dass er geistig zurückgeblieben ist und von seiner
Familie nicht angemessen betreut wird«, meinte Leo nachdenklich.
»Was war denn mit diesem Oster, dem Kneipenwirt? Er hat doch gesagt,
er würde den Jungen gern zu sich nehmen.«
»Stimmt«, sagte
Robert. »Wir sollten ihn darauf ansprechen, es schien ihm ernst zu
sein. Das wäre doch ein glücklicher Ausgang.«
»Ja. Aber wir sind
nicht im Märchen«, meinte Leo nüchtern. »Paul kann
schon von Glück sagen, wenn Oster ihn anständig behandelt und
ihm was beibringt.«
Leo Wechsler klingelte kurz
nach Ende der Sprechstunde an der Praxis von Magda Schott. Sie öffnete
ihm die Tür und schaute ihn überrascht an. »Herr Wechsler,
mit Ihnen hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Kommen Sie doch herein.«
Im Gehen zog sie den weißen
Kittel aus und hängte ihn an einen Haken hinter der Tür des
Sprechzimmers. Leo schaute sich um. Schlicht eingerichtet, aber mit
freundlichen Bildern an den Wänden, Blumen und Märchenmotive für
die jüngeren Patienten.
»Nehmen Sie Platz.«
»Ich möchte Sie
nicht lange aufhalten, Sie haben gewiss einen anstrengenden Tag hinter
sich.«
»Das habe ich immer.
Genau wie Sie, nehme ich an.«
Leo schlug die Beine übereinander
und kam gleich zur Sache. »Zunächst einmal wollte ich Ihnen für
Ihre Hilfe danken. Sie haben uns nicht nur geholfen, Paul Görlich vor
einer großen Gefahr zu schützen, sondern auch dazu beigetragen,
den Fall Arnold Wegner aufzuklären. Wir haben den Mörder
gefasst, er ist geständig.«
Sie nickte. »Das ist
gut. Ich kannte den Maler zwar nicht, aber es ist beruhigend, dass sein Mörder
nicht mehr frei herumläuft. Hatte der Junge etwas damit zu tun?«
»Er ist ein wichtiger
Zeuge, mehr nicht. Er war tatsächlich in Gefahr, als er zu Ihnen kam,
der Mörder hat ihm mehrmals aufgelauert und ihn bedrängt. Und
nachdem er bei Ihnen war, wurde er vom Mörder in sein Auto gezerrt
und verschleppt. Zum Glück konnte er später fliehen.«
Dr. Schott ballte eine Hand
zur Faust. »Wie furchtbar, der arme Kerl. Als wenn er es nicht
schwer genug hätte.«
Leo nickte. »Damit
kommen wir zu meinem zweiten Anliegen. Ich möchte Paul Görlich
aus diesen Verhältnissen wegholen. Sein Arbeitgeber, der Gastwirt
Oster aus der Kameruner Straße, hat angeboten, den Jungen bei sich
aufzunehmen. Was halten Sie davon?«
Sie überlegte nicht
lange. »Er ist hier als anständiger Mann bekannt. Ob er in der
Lage wäre, einen Jungen wie Paul großzuziehen, kann ich nicht
sagen, aber wenn er es Ihnen aus freien Stücken anbietet… Oder
glauben Sie, er ist nur an Pauls Arbeitskraft interessiert?«
Leo wiegte den Kopf. »Er
tut es sicher nicht aus reiner Menschenliebe, aber Paul könnte es
schlimmer treffen. Ich lege Wert auf Ihre Meinung und möchte Sie
bitten, sich den Jungen gegebenenfalls anzusehen und ein Gutachten für
die Fürsorge zu erstellen. Würden Sie das tun?«
»Sehr gern. Wenn ich
einem Kind helfen kann, aus solchen Verhältnissen herauszukommen,
brauchen Sie mich nicht lange zu bitten.«
Er stand auf und wollte sich
verabschieden, doch sie schien zu zögern, als hätte sie noch
etwas auf dem Herzen. »Ja?«, fragte Leo abwartend.
»Ich …«
Sie zuckte mit den Schultern und schien sich dann einen Ruck zu geben.
»Clara ist sehr unglücklich, Herr Wechsler.«
Er schaute sie leicht
verlegen an. »Sie hat Ihnen davon erzählt?«
Magda nickte.
Leo knöpfte seinen
Mantel zu. »Ich weiß es zu schätzen, dass Sie mir das
sagen, aber in diesem Fall sollte sie von selbst zu mir kommen.« Er
strich sich die Haare aus der Stirn und setzte den Hut auf. »Clara
hat mir nie etwas über sich erzählt. Es war sehr unangenehm, als
wir Herrn von Mühl in diesem Cafe getroffen haben.«
»Das kann ich mir
vorstellen. Ich fand nur, Sie sollten wissen, dass es Clara nicht
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