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Tod in Blau

Tod in Blau

Titel: Tod in Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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Ansichten nicht
     teile«, entgegnete Leo mit Unschuldsmiene.
    »Aber es hätte dir
     auch nicht leidgetan, ihn zu verhaften, oder?«
    »Es wäre mir ein
     Vergnügen gewesen.«
    *
    Paul tastete fieberhaft unter
     seinem Pullover. Knistern. Das Papier war noch da. Keuchend hetzte er
     zwischen den Bäumen hindurch, blieb mit dem Hemd an einem Zweig hängen
     -die Mutter würde schimpfen, wenn sie den Riss sah. Er gelangte auf
     die kahle Fläche mit den Baumstümpfen, rannte weiter, getrieben
     von der Erinnerung an das schwarze, formlose Ding auf dem Boden. Er
     glaubte, das Feuer zu spüren. Es näherte sich von hinten,
     versengte sein Haar, leckte über seinen Rücken. Panisch schlug
     er im Laufen mit der Hand auf sein Schulterblatt. Natürlich war da
     nichts. Er hatte das Haus längst hinter sich gelassen.
    Der Junge merkte kaum, dass
     er in eine belebtere Gegend kam, und lief an den Menschen vorbei, ohne ein
     Gesicht wahrzunehmen. Als er vor der Kneipe stand, war ihm, als hätte
     ihn ein Zauber herversetzt, denn er konnte sich nicht mehr an den Weg
     erinnern. Trotz der Novemberkälte rann ihm der Schweiß über
     den Rücken. Sein Hosenbund fühlte sich klamm an. Suchend schaute
     er sich um. Hineingehen mochte er nicht, er musste heute nicht arbeiten.
     Ging er trotzdem hin, würde es aussehen, als wollte er um Essen
     betteln. Nach Hause konnte er auch nicht. Der Vater würde es merken,
     der merkte alles.
    Ihm fiel der Kohlenkeller der
     Kneipe ein. Er lief in den Hof, rüttelte an der Tür, zerrte am
     Riegel, bis er sich knirschend zur Seite schieben ließ. Er glitt
     hinein und zog die Tür hinter sich zu. Es war nachtschwarz und
     schmutzig, die Mutter würde erst recht schimpfen, wenn er verdreckt
     nach Hause kam. Doch das war egal, jetzt war alles egal.
    Er saß auf dem
     Kohlenhaufen, den Rücken an der kühlen Wand. Bruchstücke
     von Bildern tanzten vor seinen Augen. Wie er hingegangen war, um seinem
     Freund das Blatt zurückzugeben. Irgendwie fühlte er sich nicht
     wohl, solange er nachts drauf schlief. Er hatte die Schnur abgemacht und
     es flach unter die Matratze geschoben, aber wenn es nun doch jemand
     entdeckte? Der Schlafbursche war ziemlich neugierig. Manche Bilder fand
     Paul ja ganz schön, aber dieses hatte ihm von Anfang an nicht
     gefallen. Es war überhaupt nicht bunt, nur Bleistiftstriche und ein
     bisschen Blau, ziemlich langweilig. Darum hatte er es sich auch gar nicht
     richtig angesehen. Komisch, dass er gerade das mitnehmen sollte.
    Schon auf dem Hinweg hatte er
     heute so ein eigenartiges Gefühl gehabt. Als wenn was nicht wäre
     wie sonst.
    Er war über den Zaun
     geklettert, durch den Gemüsegarten gelaufen, in dem um diese
     Jahreszeit nur ein paar Kohlstrünke vor sich hin faulten. Im Sommer
     hatte er mal die viel zu blasse, hübsche Frau des Malers im Garten
     gesehen, aber jetzt, im November, war es ihr wohl zu kalt. Der Maler war
     ohnehin meist allein in dem kleinen Haus. Es war ja nicht zum Wohnen, er
     arbeitete nur darin. Der Junge schlang die Arme um den Körper, drückte
     sich enger an die Wand und schloss die Augen.
    Sonst ging er immer einfach
     ins Haus, das sein Freund Atelier nannte. Drinnen war es hell, die großen
     Fenster im Dach ließen selbst im Herbst noch Licht herein, weil sein
     Freund immer raufkletterte und die Blätter wegfegte. Doch diesmal war
     alles anders gewesen.
    Auf den ersten Blick wirkte
     alles unberührt. Die weißen Mauern sahen traurig und verlassen
     aus, als hätte das Haus seine Wärme und Lebendigkeit verloren.
    Dann hatte er sich zögernd
     der Tür genähert. Sie war nur angelehnt. Es roch komisch, nicht
     wie sonst nach Leinöl und Terpentin. Diese Wörter hatte ihm sein
     Freund erklärt. Ein schwarzer Geruch, das war es. Konnte man Farben
     riechen?
    Vorsichtig lugte Paul um die
     Tür. Wich entsetzt zurück. Mitten im vertrauten Raum züngelten
     Flammen empor. Am Boden lag eine Gestalt, schwarz, verkrümmt, reglos.
    Etwas zwang ihn, näher
     zu treten. Noch näher. Die Gestalt lag auf dem Rücken, die Beine
     gespreizt und leicht angewinkelt. Der linke Arm reckte sich ins Leere,
     dorthin, wo einmal die Staffelei gestanden hatte.
    *
    Paul versuchte, an etwas
     anderes zu denken. Vor langer Zeit hatte er die Rehberge für sich
     entdeckt. Die Gegend faszinierte ihn, eine Sandwüste mitten in
     Berlin. Früher hatten dort Bäume gestanden, doch vor ein paar
     Jahren, als der schlimme Winter war, hatten die Leute

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