Tod in Blau
nebenan und nahmen im Halbkreis vor dem Schreibtisch
Platz. »Ich habe mir soeben in der oberen Etage einen Vortrag über
die angebliche Zunahme unaufgeklärter Kapitalverbrechen anhören
dürfen. Nicht ganz gerecht, wenn man unsere Aufklärungsrate
betrachtet, aber wenn die Presse ruft, springen die Herren. Daher wüsste
ich gern, wie die Ermittlungen im Fall Bremer stehen.« Er schaute in
die Runde.
Walther ergriff das Wort,
obwohl er und die Kollegen wenig Neues zu bieten hatten. »Die
Platzanweiserin können wir ausschließen, da waren wir einer
Meinung; Bremers Eltern wohnen bei Cottbus und haben den Ort seit Jahren
nicht verlassen. Die dortige Polizei hat die Befragung für uns
durchgeführt. Die Leute wissen über das Berliner Leben ihres
Sohnes nur das Wenige, das er nach Hause berichtete. Die Ermittlungen hier
in der Stadt haben ergeben, dass Bremer ein höflicher, zurückhaltender
Mensch war, der sich mit allen gut stand, ohne jedoch engere
Freundschaften zu pflegen. Diesen Egon, von dem die Hagen sprach, haben
wir ebenfalls aufgesucht. Er ist zwar ein ungehobelter Kerl, der anrüchige
politische Kontakte unterhält, hat aber ein absolut wasserdichtes
Alibi.«
»Nämlich?«,
fragte Leo.
»Er hat in der
fraglichen Zeitspanne in Untersuchungshaft gesessen, weil er einen
Kommunisten zusammengeschlagen hat, der bei ihm klingelte, um Mitglieder für
sein Arbeiterhilfswerk zu werben. Falls es keine Bekannten und Freunde
Bremers gibt, von denen wir noch nichts wissen, bleibt eigentlich nur der
ehemalige Oberstleutnant.«
Leo schüttelte den Kopf
und spielte mit einem silbernen Bleistiftverlängerer. »Sicher,
dieser von Mühl und sein Germanenverein gefallen mir ganz und gar
nicht, aber wir haben nicht das Geringste gegen ihn in der Hand.«
Berns räusperte sich.
»Außer natürlich, die drehen krumme Dinger und Bremer hätte
davon Wind bekommen, Herr Kommissar.«
»Das glaube ich nicht«,
sagte Erich Lauterbach, der zum ersten Mal in Leos
Kommission arbeitete. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese
Gesellschaft einem kleinen Hosenverkäufer Zutritt gewährt und
ihre Geheimnisse offenbart. Falls sie denn welche hat.«
»Das möchte ich
nicht ausschließen, aber wir können zurzeit keine weiteren
Ermittlungen rechtfertigen. Also bleibt uns nur die altbekannte Prozedur«,
erklärte Leo. »Berns, Sie gehen die Listen der Diebesbeute
durch, die seit…« Er schaute in die Akte, die aufgeschlagen
auf dem Tisch lag. »Wie lange hat er im Kanal gelegen? Ah ja, höchstens
zwei Tage. Gut. Sie werden sämtliche Uhren in Augenschein nehmen, die
von der Polizei beschlagnahmt wurden, angefangen zwei Tage vor Auffinden
der Leiche.« Er wandte sich an Lauterbach und Walther: »Ihr
beide sucht die einschlägigen Hehler, Pfandleiher und Juweliere auf,
die solchen Kram abnehmen. Herr Hancke hat uns eine ziemlich genaue
Beschreibung der Uhr geliefert, und die Kollegen kannten sie auch.
Vielleicht kommen wir damit weiter.«
*
Zum ersten Mal seit Tagen
arbeitete Arnold Wegner äußerst konzentriert, korrigierte kaum,
schaute nur selten auf die Skizze, denn er hatte das ausgestaltete Bild so
klar im Kopf, wie es selten vorkam. Oft entwickelte sich das Bild erst
beim Malen, so dass er mittendrin noch wesentliche Veränderungen
vornahm und Farbschichten abkratzen oder Stellen übermalen musste.
Diesmal war es jedoch anders.
Nach dem Entwurf, der ihn viel Mühe gekostet hatte, schien das Bild förmlich
aus dem Pinsel zu fließen. Sogar der Titel, de ihm häufig
Kopfzerbrechen bereitete, stand schon fest. Die blaue Stunde hatte er auf
der Rückseite in kräftigen Kreidebuchstaben vermerkt.
Er nahm kaum wahr, dass es zu
regnen begann, das rhythmische Trommeln der Tropfen auf dem Glasdach trieb
ihn nur noch weiter an. Er malte wie im Rausch, gab den Figuren ein Gesicht, eine Lebendigkeit, wie es
ihm selten zuvor gelungen war.
Ein Gefühl, mehr war es
nicht. Ein Blick, der ihn von hinten traf. Er legte den Pinsel weg, drehte
sich zur Tür, meinte, am Fenster noch eine rasche Bewegung zu
entdecken. Doch als er den Kopf nach draußen steckte, war niemand zu
sehen.
Kopfschüttelnd sah er
auf die Uhr. Schon vier, sein Magen meldete sich. Er räumte die
Malutensilien ein wenig zusammen, zog den Mantel über, schloss die Tür
ab und machte sich auf den Weg zur nächsten Kneipe. Eine Wurst
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