Tod in Blau
der Inspektion D als
unter seiner Würde betrachtete, und meldete sich bereitwillig für
die Schicht, die am späten Nachmittag begann und deren Ende offen
war. Sein Dienstschluss hing davon ab, wie der Verdächtige seinen
Abend verbrachte. Hoffentlich war der Kerl kein Nachtschwärmer.
Nachdem er sich von den
Kollegen verabschiedet hatte, begab er sich auf seinen Beobachtungsposten
in der Winterfeldtstraße, wo der Verdächtige wohnte. Er zündete
sich eine Zigarette an und klappte den Mantelkragen hoch. Eine Elektrische
ratterte klingelnd über den benachbarten Nollendorfplatz, vereinzelte
Automobile fuhren zischend durch die Pfützen, dass das Wasser in Fontänen
spritzte. Die Straßenlaternen spiegelten sich gelb im nassen
Pflaster. Verfluchtes Wetter, da hätte er sich
wirklich eine schönere Abendbeschäftigung vorstellen können.
Am Kamin sitzen, eine gepflegte Zigarre rauchen, dazu ein Glas Weinbrand
und die Gesellschaftsbeilage der Zeitung.
Die Versetzung nagte an ihm.
Warum ausgerechnet er und nicht ein Mann wie Leo Wechsler, der mehr als
einmal mit seinen Vorgesetzten aneinandergeraten war? Der es vorzog, sich
mit Gesindel anzufreunden und auf diejenigen, die vor dem Krieg das Sagen
gehabt hatten, herabzuschauen? Doch er wusste, dass Protest sinnlos war.
Von Fritzsche war sein bester Kontakt im Präsidium, und es wäre
unklug, ihn mit weiteren Beschwerden zu verärgern. Nein, lieber würde
er sich bei diesem Fall auszeichnen und auf eine baldige Rückkehr in
die Inspektion A hoffen.
Von Malchow ging im Geiste
die Informationen durch, die er von Rohde und Härtung erhalten hatte.
Viel hatten sie zu dem Verdächtigen bisher nicht in der Hand; da hieß
es, sich die Hacken ablaufen oder stundenlang im Regen stehen, um Material
zu sammeln. Ein Allerweltsname. Hoffentlich nicht auch ein
Allerweltsgesicht, das sich kein Zeuge merken konnte.
7
Die Mutter saß in der
engen Stube und wiegte den Kleinen in den Armen. Ihr Gesicht war immer
sorgenvoll, doch heute schienen die Falten noch tiefer als sonst. Paul drückte
sich an der Tür herum. Er wagte nicht, sie anzusprechen, und hoffte
dennoch, sie möge ihn endlich ansehen. Sein kleiner Bruder hustete.
Ein unheimlicher, rasselnder Ton tief in seiner Brust, den Paul nur zu gut
kannte. Wenn er den hörte, wusste er, dass seine Mutter keinen Blick
mehr für ihn hatte.
»Warst ja die ganze
Nacht weg«, sagte sie schließlich, ohne hochzusehen. »Auf
dem Herd steht noch Suppe. Und hier, 'n Kanten Brot. Iss, bevor Vater
kommt.«
Was so viel heißen
sollte wie iss, bevor es eine Tracht Prügel setzt und er dir die
Suppe wegnimmt. Zögernd trat Paul an den Herd und schaute in den
Topf. Eine dünne Brühe mit wenigen Fettaugen, ohne Fleisch, nur
ein paar Stückchen Sellerie und Porree. Vereinzelte Möhrenscheiben.
Paul wusste nicht, wann er sich zuletzt richtig satt gegessen hatte. Ach
ja, neulich hatte ihm Erich Oster eine Scheibe Braten mit Soße und
Kartoffeln spendiert. Zu Hause hatte er nichts davon erzählt, weil er
mit schlechtem Gewissen gegessen und es dennoch unendlich genossen hatte.
Er löffelte die Suppe direkt aus dem Topf, wohl wissend, dass seine
Mutter nicht schimpfen würde. Wenn es Berti gut ging, durfte er sich
das nicht erlauben, doch solange der Kleine krank war, nahm sie es nicht
so genau. Er schob das letzte Stück Brot in den Mund und wischte sich
die Hände an einem fadenscheinigen Geschirrtuch ab, das neben dem
Herd hing. Das Karomuster war völlig verwaschen.
»Der Kleine hustet
wieder«, sagte seine Mutter verzweifelt. Dabei war es nicht zu
überhören. Paul hatte seine Mutter lieb, aber manchmal hätte
er laut schreien mögen. Wie jetzt, wenn sie durch ihn durchguckte.
Wenn sie nicht merkte, dass es tief in ihm drin wehtat. Weil er seinen
Freund verloren hatte.
»Ich hab gehört,
es gibt so einen Frauendoktor«, sagte er vorsichtig. »Die Männer
in der Kneipe haben drüber geredet. «
Endlich blickte die Mutter
hoch, ziemlich verwundert. »Was soll der Kleine denn beim
Frauendoktor? Junge, manchmal redste wirklich Unsinn.«
»Nein.« Paul spürte,
wie er rot wurde. Die Gedanken rutschten bisweilen einfach weg, wenn er
nach ihnen greifen wollte. »Ich meine eine Frau, die Doktor ist.«
»Eine Ärztin? Ach
ja, von der hab ich auch gehört. Soll nett sein«, sagte die
Mutter geistesabwesend. »Aber die
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