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Tod in Blau

Tod in Blau

Titel: Tod in Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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kostet auch Geld.« In diesem
     Augenblick bekam der kleine Junge wieder einen quälenden
     Hustenanfall. »Na ja, ich werd wohl doch mal zu der Frau gehen, auch
     wenn der Vater schimpft. Das Fuhrunternehmen hat gesagt, es gibt keine
     Arbeit mehr. Jetzt steht er wieder mit der Karre am Bahnhof.«
    Pauls Vater war Fuhrmann,
     doch gab es immer weniger Arbeit, weil immer weniger Waren ausgefahren
     wurden. Darum verdiente der Vater kaum Geld und hatte dadurch schlechte
     Laune. Er hatte sich eine zweirädrige Karre gekauft und dafür
     Schulden gemacht, die er mit Aufträgen für ein Fuhrunternehmen
     in der Ackerstraße wieder hereinholen wollte. Doch es kamen keine
     Aufträge mehr, und so standen er und viele andere an den Bahnhöfen
     und warteten auf Reisende, die wohlhabend genug waren, um ihr Gepäck
     gegen Bezahlung befördern zu lassen.
    Wieder erklang der rasselnde
     Husten. Die Mutter legte sich den Kleinen über die Schulter und
     klopfte ihm verzweifelt auf den Rücken. Sie merkte gar nicht, was mit
     Paul los war. Dass etwas von innen an seinem Bauch
     nagte, das schlimmer als der Hunger war.
    Trotzdem war er froh, dass
     der Vater mit seinen scharfen Augen noch nicht zu Hause war. Die guckten
     manchmal wie Messer. Vor allem, wenn er seinen älteren Sohn ansah.
    Paul ging in die Ecke der
     Stube, zu seinem Bett. Der andere Raum war die winzige Schlafkammer seiner
     Eltern, in der auch Mutters Nähmaschine stand. Manchmal sagte sie,
     demnächst klebt der Kuckuck drauf, aber er wusste nicht, was sie
     damit meinte.
    Der Schlafbursche lag drin,
     nur das zerzauste Haar war zu sehen. Dann eben nicht. Er holte seine Jacke
     und ging hinunter in den Hof.
    *
    Leo Wechsler hielt unwillkürlich
     die Luft an, als er das Atelier betrat. Wenn er einen Tatort besichtigte,
     versuchte er stets, dem Menschen nachzuspüren, der dort gestorben
     war. Manchmal war ihm, als hätte der Tote etwas zurückgelassen,
     und bisweilen fragte er sich, ob an Orten, an denen Menschen künstlerisch
     gearbeitet hatten, auch ein Hauch ihrer Phantasie und Gestaltungskraft zurückblieb.
    Er war so in Gedanken
     versunken, dass er kaum bemerkte, wie die Kriminalassistenten Stahnke und
     Berns, der Polizeifotograf Klaus Zeitler und Fräulein Meinelt, die
     das Protokoll aufnehmen würde, den Raum betraten und sich mit
     Erichsen bekannt machten.
    Der Fotograf stellte das
     Stativ auf und packte die Kamera aus, bevor er sich abwartend Leo
     zuwandte. Stahnke und Berns nahmen eckige Metalldosen aus ihren
     Aktentaschen, die das Spurensicherungsbesteck enthielten.
    »Wurde an der
     Brandstelle irgendetwas verändert?«, fragte Leo, nachdem er
     sich gründlich umgesehen hatte.
    Erichsen nickte bedauernd.
     »Da wir zunächst von einem Unglücksfall ausgegangen sind,
     wurden einige Möbelstücke beiseite geräumt.
     Die Lage der Leiche haben wir mit Kreide markiert; die verbrannten Reste,
     die wir noch nicht identifizieren konnten, befinden sich dort drüben.«
    Leo seufzte leise. Die
     Feuerwehr hatte ganze Arbeit geleistet und dabei womöglich wertvolle
     Spuren vernichtet. Auf einem Tisch lag ein Kanten Brot, daneben ein Stück
     dunkel angelaufene Leberwurst samt Messer. Ein Glas enthielt noch
     eingetrocknete Spuren einer roten Flüssigkeit, vermutlich Wein. Nur
     der schwarze Fleck mitten im Raum ließ erahnen, was sich in diesem
     Haus abgespielt hatte. »Seht euch zuerst die Brandstelle an. Ich
     komme gleich.«
    Er ging an den Wänden
     entlang und blieb vor den Bildern stehen. Viele waren es nicht. Von den
     meisten war nur die Rückseite zu sehen, das Holz, die Nägel, mit
     denen die Leinwände auf die Rahmen gespannt waren. Die Initialen AW,
     dazu Monats- und Jahreszahlen, manchmal auch ein Titel.
    Leo zog Handschuhe an und
     begann, die Bilder nacheinander umzudrehen. Viele waren Porträts oder
     Großstadtszenen, die meisten in der Art, die er von Wegner kannte.
     Nasse Straßen, in denen sich das Licht der Laternen spiegelte.
     Gebeugte Gestalten in Hauseingängen oder den matt beleuchteten Türen
     der Kellerkneipen. Ein Bettler, der dem Betrachter seine schlecht
     verheilten Armstümpfe entgegenstreckte. Junge Prostituierte in
     durchscheinenden Kleidern, bei denen nur die Gänsehaut auf den
     mageren Armen fehlte. Er drehte das letzte Bild um, in Gedanken schon
     woanders, hielt dann aber unvermittelt inne. Trat einen Schritt zurück.
    Es war wunderschön, und
     wäre nicht die Signatur gewesen, hätte man einen

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