Tod in Blau
zusammen gesehen?«, fragte Leo.
»Nein, das habe ich
nicht. Ob es zu einem Zerwürfnis gekommen ist, kann ich nicht sagen,
da ich mich nicht in die persönlichen Angelegenheiten meines
Personals zu mischen pflege.« Er klang plötzlich distanziert.
»Ich möchte Sie bitten, die ganze Sache diskret zu behandeln,
Herr Kommissar. Mein guter Ruf ist mein größtes Kapital, und
wenn bekannt würde, dass einer meiner Angestellten auf anrüchige
Weise ums Leben gekommen ist…«
»Wir gehen so diskret
wie möglich vor, Herr Hancke, aber wenn es sich um eine Gewalttat
handelt, hat die Aufklärung Vorrang.« Dann fiel Leo noch etwas
ein. »Wissen Sie, ob Herr Bremer etwas besaß, das von Wert
war? Schmuck, eine teure Uhr oder dergleichen?« Bei der Leiche waren
keinerlei persönliche Wertgegenstände gefunden worden.
Hancke nickte beflissen.
»Er trug immer eine goldene Taschenuhr an einer Kette. Ich glaube,
er erwähnte einmal, sie sei ein Konfirmationsgeschenk. Von wem, weiß
ich allerdings nicht.«
»Gut. Sie haben sicher
nichts dagegen, wenn wir uns in den nächsten Tagen auch mit Ihren
Angestellten unterhalten.«
*
Nüchtern betrachtete
Arnold Wegner die nackten Frauenkörper. Wie schnell man sich an
derartige Auftritte gewöhnte. Noch vor wenigen Jahren wären
solche Darbietungen in guter Gesellschaft undenkbar gewesen; heutzutage
galt es als schick, zu einem schlüpfrigen Tanzabend zu bitten. Im
Rhythmus der Musik entblößten die Tänzerinnen ihre Oberkörper,
bevor sie sich wieder in die transparenten Schleier hüllten. Ihre
Scham war notdürftig hinter Blumengestecken verborgen.
Er registrierte alles mit kühlem
Blick, konstatierte, machte sich im Geist Notizen. Sein Besuch war eher
beruflicher Natur. Hier sammelte er Eindrücke, legte sie in der
Erinnerung ab, um sie wieder hervorzuholen, wenn er im Atelier vor der kahlen Leinwand stand, vor einem
Blatt Papier saß, den Bleistift in der Hand hielt oder, was seltener
vorkam, sich an einem Aquarell oder einer Tuschezeichnung versuchte.
Manchmal fragte er sich, ob Leonardo oder Michelangelo mit ähnlich nüchterner
Distanz ans Werk gegangen waren wie er. Andererseits hatten sie nicht
Menschen in Tanzdielen und Likörstuben, in Stehbierhallen und
billigen Bordellen porträtiert, sondern mythische Figuren,
griechische Götter, Gott selbst. Oder müsste er mehr Mitgefühl
empfinden? Nein, sagte er sich, das war etwas für Vater Zille und die
Kollwitz. Er hingegen suchte und malte die Nachtgestalten, die
Ausgehungerten, die jene Nahrung suchten, die keine Lebensmittelkarte
bieten konnte. Die Getriebenen, deren gehetzte Blicke er erbarmungslos
einfing. Die ausländischen Prasser, die mit Geld nur so um sich
warfen, die genau wussten, wo man in Berlin für ein paar Dollar alles
kaufen konnte.
Er sah sich im Salon um.
Bemerkte die begehrlichen Blicke der anderen Männer. Ein älterer
Herr sog versonnen an der Zigarre, die in seinem Mundwinkel hing. Arnold
unterdrückte ein Grinsen und nahm ein Glas Champagner von einem
Silbertablett. Wenn die Kreislers darauf bestanden, ihn als Vertreter der
Boheme einzuladen, konnte er nicht gänzlich abstinent bleiben.
Immerhin galt er als skandalöser Künstler und genoss diesen Ruf,
der ihm ungeahnte Möglichkeiten eröffnete. Frauen, die
unerreichbar schienen, wollten plötzlich von ihm gemalt werden,
obgleich sie nicht wissen konnten, wie schmeichelhaft das Porträt
ausfallen würde. Er war dafür bekannt, dass er in seinen Bildern
nicht das Äußere, sondern das Innenleben seiner Modelle zu
spiegeln suchte. Und manchmal war das Innere sehr viel hässlicher als
die schöne Hülle.
Er sah sich im Raum um, immer
auf der Suche nach einem anregenden Motiv. Es waren nicht viele Damen
anwesend, doch er malte auch gern Männer, vor allem ältere
Herren, die er meist verzerrt und karikierend darstellte, als Opfer ihrer
Leidenschaften, der Angst vor dem Alter. Niemand entging seinem kritischen
Blick - nicht der Offizier, der Uniform trug, obwohl die Zeiten vorbei
waren, in denen man damit gesellschaftlich glänzen konnte; nicht der
Fabrikant mit dem gezwirbelten Kaiser-Wilhelm-Bart, der sich das Monokel
ins Auge klemmte, um die losen Damen besser zu erkennen. Als der Auftritt
vorbei war, erklang begeisterter Applaus, und die Tänzerinnen mussten
dreimal herauskommen und sich verbeugen.
Wegner
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