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Tod in Blau

Tod in Blau

Titel: Tod in Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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zusammen gesehen?«, fragte Leo.
    »Nein, das habe ich
     nicht. Ob es zu einem Zerwürfnis gekommen ist, kann ich nicht sagen,
     da ich mich nicht in die persönlichen Angelegenheiten meines
     Personals zu mischen pflege.« Er klang plötzlich distanziert.
     »Ich möchte Sie bitten, die ganze Sache diskret zu behandeln,
     Herr Kommissar. Mein guter Ruf ist mein größtes Kapital, und
     wenn bekannt würde, dass einer meiner Angestellten auf anrüchige
     Weise ums Leben gekommen ist…«
    »Wir gehen so diskret
     wie möglich vor, Herr Hancke, aber wenn es sich um eine Gewalttat
     handelt, hat die Aufklärung Vorrang.« Dann fiel Leo noch etwas
     ein. »Wissen Sie, ob Herr Bremer etwas besaß, das von Wert
     war? Schmuck, eine teure Uhr oder dergleichen?« Bei der Leiche waren
     keinerlei persönliche Wertgegenstände gefunden worden.
    Hancke nickte beflissen.
     »Er trug immer eine goldene Taschenuhr an einer Kette. Ich glaube,
     er erwähnte einmal, sie sei ein Konfirmationsgeschenk. Von wem, weiß
     ich allerdings nicht.«
    »Gut. Sie haben sicher
     nichts dagegen, wenn wir uns in den nächsten Tagen auch mit Ihren
     Angestellten unterhalten.«
    *
    Nüchtern betrachtete
     Arnold Wegner die nackten Frauenkörper. Wie schnell man sich an
     derartige Auftritte gewöhnte. Noch vor wenigen Jahren wären
     solche Darbietungen in guter Gesellschaft undenkbar gewesen; heutzutage
     galt es als schick, zu einem schlüpfrigen Tanzabend zu bitten. Im
     Rhythmus der Musik entblößten die Tänzerinnen ihre Oberkörper,
     bevor sie sich wieder in die transparenten Schleier hüllten. Ihre
     Scham war notdürftig hinter Blumengestecken verborgen.        
    Er registrierte alles mit kühlem
     Blick, konstatierte, machte sich im Geist Notizen. Sein Besuch war eher
     beruflicher Natur. Hier sammelte er Eindrücke, legte sie in der
     Erinnerung ab, um sie wieder hervorzuholen, wenn er im Atelier vor der kahlen Leinwand stand, vor einem
     Blatt Papier saß, den Bleistift in der Hand hielt oder, was seltener
     vorkam, sich an einem Aquarell oder einer Tuschezeichnung versuchte.
     Manchmal fragte er sich, ob Leonardo oder Michelangelo mit ähnlich nüchterner
     Distanz ans Werk gegangen waren wie er. Andererseits hatten sie nicht
     Menschen in Tanzdielen und Likörstuben, in Stehbierhallen und
     billigen Bordellen porträtiert, sondern mythische Figuren,
     griechische Götter, Gott selbst. Oder müsste er mehr Mitgefühl
     empfinden? Nein, sagte er sich, das war etwas für Vater Zille und die
     Kollwitz. Er hingegen suchte und malte die Nachtgestalten, die
     Ausgehungerten, die jene Nahrung suchten, die keine Lebensmittelkarte
     bieten konnte. Die Getriebenen, deren gehetzte Blicke er erbarmungslos
     einfing. Die ausländischen Prasser, die mit Geld nur so um sich
     warfen, die genau wussten, wo man in Berlin für ein paar Dollar alles
     kaufen konnte.
    Er sah sich im Salon um.
     Bemerkte die begehrlichen Blicke der anderen Männer. Ein älterer
     Herr sog versonnen an der Zigarre, die in seinem Mundwinkel hing. Arnold
     unterdrückte ein Grinsen und nahm ein Glas Champagner von einem
     Silbertablett. Wenn die Kreislers darauf bestanden, ihn als Vertreter der
     Boheme einzuladen, konnte er nicht gänzlich abstinent bleiben.
     Immerhin galt er als skandalöser Künstler und genoss diesen Ruf,
     der ihm ungeahnte Möglichkeiten eröffnete. Frauen, die
     unerreichbar schienen, wollten plötzlich von ihm gemalt werden,
     obgleich sie nicht wissen konnten, wie schmeichelhaft das Porträt
     ausfallen würde. Er war dafür bekannt, dass er in seinen Bildern
     nicht das Äußere, sondern das Innenleben seiner Modelle zu
     spiegeln suchte. Und manchmal war das Innere sehr viel hässlicher als
     die schöne Hülle.
    Er sah sich im Raum um, immer
     auf der Suche nach einem anregenden Motiv. Es waren nicht viele Damen
     anwesend, doch er malte auch gern Männer, vor allem ältere
     Herren, die er meist verzerrt und karikierend darstellte, als Opfer ihrer
     Leidenschaften, der Angst vor dem Alter. Niemand entging seinem kritischen
     Blick - nicht der Offizier, der Uniform trug, obwohl die Zeiten vorbei
     waren, in denen man damit gesellschaftlich glänzen konnte; nicht der
     Fabrikant mit dem gezwirbelten Kaiser-Wilhelm-Bart, der sich das Monokel
     ins Auge klemmte, um die losen Damen besser zu erkennen. Als der Auftritt
     vorbei war, erklang begeisterter Applaus, und die Tänzerinnen mussten
     dreimal herauskommen und sich verbeugen.
    Wegner

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