Tod in Blau
sah auf die Uhr. Er könnte
noch in die »Weiße Maus« gehen oder in die »Palette«,
um Freunde zu treffen. Als er gerade mit dem Gedanken spielte, sich den
Mantel geben zu lassen, trat die Gastgeberin Charlotte Kreisler in die
Mitte des Raums und klatschte in die Hände.
»Meine lieben Freunde,
dürfte ich einen Moment um Ihre Aufmerksamkeit bitten? Nachdem uns
die Damen vom Ballett Celly de Rheydt mit ihrer Darbietung erfreut haben,
möchte ich Ihnen jetzt etwas ganz Besonderes präsentieren: eine
junge Tänzerin, die erst am Anfang ihrer Karriere steht. Sie wird uns
heute Abend eine Darbietung zeigen, die, wie sie sagt, aus dem Geist der
Zeit geboren ist. Begrüßen Sie mit mir Thea Pabst und ihren
Partner Stephan Castorff, die das Programm ›Inflation‹ für
uns tanzen werden.«
Die Kronleuchter erloschen,
ein gedämpfter Trommelwirbel erklang. Ein Scheinwerfer tauchte die
improvisierte Bühne in goldenes Licht. Das Murmeln im Salon erstarb,
alle Augen richteten sich auf den Vorhang, in dessen Spalt nun eine Hand
erschien. Eine zarte Hand, ohne Schmuck, mit langen, schön geformten
Fingern, die einen Geldschein hielten. Die Hand zuckte lässig, der
Schein flatterte zu Boden. Die Spannung im Raum war beinahe greifbar.
Dann trat die Tänzerin
ins Licht. Zart, fast knabenhaft, mit lockigem, honigblondem Haar, das
sich eng an den Kopf schmiegte. Doch nicht ihr Kopf war es, der die
Zuschauer in Bann schlug, sondern das Nichts von
einem Kostüm. Kein Tüll, kein Gazeschleier, wie sonst bei
derartigen Darbietungen üblich, sondern Geldscheine, die unmittelbar
auf die Haut geklebt waren. Der Kontrast zwischen ihrer makellosen Gestalt
und den Geldscheinen war so frappierend, dass selbst Wegner der Atem
stockte. Er hatte Anita Berber mehr als einmal auf der Bühne erlebt,
und Thea Pabst schien ihr mehr als ebenbürtig.
Es gab keine Musik außer
der gedämpften Trommel. Die Tänzerin bewegte sich rhythmisch
über das Parkett und strich sich über den beklebten Körper.
Dann kam ein männlicher Tänzer hinzu, der eine Maske trug und
dessen Körper ganz mit goldener Farbe bemalt war. Er umschlang die Tänzerin,
zupfte bei jedem Schritt einen Geldschein ab. Manche fielen einfach zu
Boden, andere warf er ins Publikum oder zerknüllte sie achtlos, einen
entzündete er an der Zigarre eines überraschten Herrn im
Publikum. Ihr nackter Körper war atemberaubend, sie verhüllte
nicht einmal die Scham mit einem dekorativen Nichts. Der Schlag der
Trommel wurde immer schneller, der Tanz immer wilder, bis die Tänzerin
schließlich mit einem Aufschrei zu Boden sank, die Hände um den
Kopf geschlungen. Der goldene Mann kniete sich hinter sie und streckte
sich auf ihrem gekrümmten Rücken aus, bis er sie ganz bedeckte.
Plötzlich löste sich ein Mechanismus an der hohen Salondecke und
ließ einen ganzen Schauer aus Banknoten auf sie hinabregnen.
*
Die Einladung, die auch den
soeben dargebotenen Tanz ankündigte, war auf handgeschöpftem Bütten
mit zartem Wellenrand gedruckt. Arnold hatte bezweifelt, dass man die
allgegenwärtige, überaus prosaische Geldentwertung in einen Tanz
verwandeln konnte, und fand sich nun eines Besseren belehrt. Die Frau
hatte ihm gefallen, außerordentlich gefallen. Er würde sie gern
malen.
Als Thea Pabst in einem roten
Kleid, zu dem sie eine lange, auffällige Kette aus schwarzem
Bakelit trug, im Salon erschien, applaudierten die Gäste erneut. Sie
dankte mit einer angedeuteten Verbeugung und nahm das Glas Champagner, das
die Gastgeberin ihr anbot.
»Wo ist Ihr
Tanzpartner, Fräulein Pabst?«, erkundigte sich Charlotte
Kreisler.
»Herr Castorff lässt
sich entschuldigen, aber er hat heute Abend noch einen weiteren Auftritt«,
entgegnete sie mit einer überraschend tiefen Stimme, die gar nicht zu
ihrer zarten Erscheinung passte. »Er wäre gern geblieben. So müssen
Sie leider mit mir vorliebnehmen.«
Arnold trat wie beiläufig
hinzu, da er hoffte, der Tänzerin vorgestellt zu werden. Was auch
geschah.
»Darf ich Sie mit
Arnold Wegner, dem bekannten Maler, bekannt machen?«
Thea Pabst streckte ihm die
Hand hin. »Sehr erfreut. Ich habe einige Bilder von Ihnen gesehen.
Sie haben mir Angst gemacht.«
»Warum?«, fragte
Arnold überrascht.
»Mir scheint, Sie
blicken durch die Menschen hindurch. Sie sehen, was die Leute denken. Und
das spiegelt sich dann in ihren
Weitere Kostenlose Bücher