Tod in Blau
die nächste nicht fern. Diesen Kindern kann
kein Arzt der Welt helfen. Sie brauchen ein völlig anderes Leben,
aber ich bekomme immer nur das alte Lied zu hören: Ich kann keine
Milch kaufen, die Wände sind verschimmelt, mein Mann ist gefallen -
eine endlose Litanei.«
Clara hörte aufmerksam
zu, sagte aber nicht viel, weil sie wusste, dass Magda sich vor allem das
Elend von der Seele reden wollte.
»Nun, Schluss mit dem
Gejammer«, meinte die Ärztin schließlich. »Was
macht die Bücherei?«
»Sie geht ganz gut,
obwohl die Leute immer weniger Geld in der Tasche haben und immer weniger
dafür bekommen. Und das wenige geben sie natürlich vor allem für
Lebensmittel aus. Aber ich beklage mich nicht, es könnte schlimmer
sein.«
»Und sonst?«
Magdas Blick war durchdringend.
»Was meinst du?«,
fragte Clara. »Du siehst mich so an.«
»Na ja, du hast mir vor
ein paar Monaten von diesem Mordfall erzählt. Und von dem
Kriminalkommissar, der hier ganz in der Nähe wohnt.«
Clara drehte nachdenklich die
Tasse in der Hand. »Er war noch ein paarmal da. Mit seinen Kindern.«
»Und?«, bohrte
ihre Freundin weiter.
In Claras Gesicht schien ein
Vorhang zu fallen. »Es gibt kein Und. Er ist sympathisch, sonst
nichts.«
»Gebranntes Kind -«
»Jetzt komm mir bitte
nicht mit diesen Weisheiten. Ich hasse Sprichwörter«, meinte
Clara ungewohnt heftig, stellte ihre Tasse klirrend auf den Tisch und
stand auf. »Wie wäre es mit Bratkartoffeln?«
Magda hielt sie am Arm fest.
»Setz dich bitte wieder, die Bratkartoffeln können warten.
Warum weichst du mir immer aus, wenn ich dich auf dieses Thema anspreche?
Du bist eine gutaussehende junge Frau und verschließt dich seit
Jahren vor der Welt, nur weil du -«
Clara blieb beharrlich
stehen. Magda unternahm regelmäßig den Versuch, ihr auf diese
Weise ins Gewissen zu reden, doch sie würde ihr auch diesmal
widerstehen. »Ich verschließe mich nicht vor der Welt. Ich
will nur für mich leben, nie wieder abhängig sein.«
»Das brauchst du doch
nicht. Du hast deine Bücherei und bist nicht mehr auf das Geld
anderer angewiesen.« Doch Magda wusste, dass es mehr war als das,
dass ihre Freundin tief verletzt worden war und die Narben sich bemerkbar
machten, sowie sie einen Mann näher kennen lernte.
»Sicher. Aber ich bin
auch eine schuldig geschiedene Ehefrau. Das könnte so manchen
abschrecken.«
»Aber nicht jeden. Und
wenn es einen Mann abschreckt, ist er es nicht wert, dass du dich um ihn
bemühst.« Sie schüttelte entnervt den Kopf. »Du
willst doch nicht dein ganzes Leben allein verbringen, oder?«
Clara setzte sich nun doch,
damit sie auf einer Augenhöhe mit ihrer Freundin war. »Magda,
ich sage es dir jetzt ein letztes Mal.« Ihre Stimme klang betont
ruhig. »Mein Mann hat mich damals des Ehebruchs bezichtigt. Ich sei
gefühlskalt und hätte meine ehelichen Pflichten nicht erfüllt,
sei nur an seinem Geld interessiert gewesen. Das hat er seiner Familie erzählt,
seinen Freunden und Bekannten, seinem Anwalt und dem Richter. Meinst du
allen Ernstes, dass ich so etwas noch einmal riskiere?« Mit diesen
Worten stand sie endgültig auf und verschwand in der Küche.
*
»Also wahrscheinlich
Mord, Herr Kommissar«, verkündete Dr. Lehnbach am nächsten
Morgen. »Es sieht ganz nach einem Tötungsdelikt aus. Wenn Sie
mich fragen, wurde das Opfer niedergeschlagen, mit Terpentin übergössen
und angezündet.«
Leo Wechsler sah Robert
Walther mit hochgezogenen Brauen an. »Dann lag Erichsen wohl doch
richtig.«
Sein Kollege verschränkte
die Arme hinter dem Kopf. »Und du darfst dich endlich während
der Dienststunden in der Berliner Künstlerszene tummeln.«
»Wurde auch Zeit, dass
ich mal das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden kann.«
Der Rechtsmediziner sah die
beiden Beamten ein wenig verständnislos an, worauf Walther mit dem
Daumen über die Schulter zeigte. An der Wand hinter ihm hing ein
kleines, quadratisches Gemälde, das eine junge Frau auf einer
Bettkante sitzend darstellte. »Der Herr Kommissar sammelt Kunst.«
Leo lächelte
entschuldigend. »Als Sammler würde ich mich nicht gerade
bezeichnen. Dazu reicht mein Gehalt leider nicht aus.«
Lehnbach stand auf, schob die
Brille hoch und sah sich das Bild genauer an, wobei er den Kopf vorreckte
wie ein Vogel. »Gar nicht schlecht. Von wem ist es?«
»Anonymer Künstler.
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