Tod in Blau
Irgendetwas daran hat mich fasziniert«, sagte Leo, der eigentlich
nicht die Absicht hatte, mit Lehnbach über Kunst zu diskutieren.
»Und warum hängen
Sie es ins Büro und nicht in Ihre Wohnung?«
»Weil ich öfter
hier als zu Hause bin«, meinte Leo grinsend. »Was Herrn Gennat
sein Sofa, ist mir dieses Bild.« Was nicht so leichthin gemeint war,
wie es klang, da er das Bild tatsächlich als etwas sehr Persönliches
empfand, auf das er auch bei der Arbeit ungern verzichten wollte.
»Außerdem ist es
heutzutage sicherer, sein Geld in Sachwerten anzulegen«, meinte der
Arzt ernsthaft. »Meine Frau hat gestern über fünfhundert
Mark für ein Kilo Mehl bezahlt.«
Bevor er zu einem ausführlichen
Gespräch über die wachsende Geldentwertung ansetzen konnte,
lenkte Walther ihn zurück zum eigentlichen Thema.
»Warum hat der Täter
nicht einfach das ganze Atelier angezündet?«
Der Arzt zuckte mit den
Schultern. »Sie sind doch die Kriminalisten.«
»Vielleicht hat er
gehofft, dass die übrige Einrichtung ebenfalls Feuer fängt. Oder
er hatte keine Ahnung, wie man einen Brand legt. Womöglich sollte es
nach einem Unfall aussehen«, überlegte Walther.
»Vielleicht ist er auch
überrascht worden und musste fliehen«, gab Leo zu bedenken.
»Womöglich empfand der Täter auch einen so tiefen Hass auf
Wegner, dass er ganz bewusst nur den Menschen vernichtet hat.«
»Ich habe die
Inventarliste, die Frau Wegner uns zusammengestellt hat, mit dem Tatort
verglichen«, erklärte Walther. »Wir müssen davon
ausgehen, dass von der Einrichtung tatsächlich nur die Staffelei
verbrannt ist, da sie als einziger größerer Gegenstand fehlt.
Daher ist anzunehmen, dass die Holzreste neben der Leiche von ihr stammen.«
Er warf einen Blick auf den Bericht der Spurensicherung, der vor ihm auf
dem Schreibtisch lag. »Aus den Resten ließ sich außerdem
schließen, dass vermutlich ein Bild darauf gestanden hat. Einige der
verkohlten Holzstücke könnten vom Rahmen stammen, auch wurden
verbogene Metallstifte gefunden, mit denen wohl die Leinwand am Rahmen
befestigt war. Ein Raubmord scheidet aus, sonst hätte der Täter
die Bilder mitgenommen. Nein, das Motiv scheint mir persönlicher.
Hass, Eifersucht, Rache. Dazu würde auch passen, dass das Bild, an
dem Wegner gerade arbeitete, zerstört wurde.«
»Angenommen, der Täter
will das Bild vernichten, wird von Wegner überrascht und tötet
ihn«, meinte Leo.
»Warum sollte er ein
Gemälde vernichten wollen?«, entgegnete Walther.
»Kollegenneid, was weiß
ich? Ausgeschlossen ist es jedenfalls nicht. Dazu passt allerdings nicht,
dass wir an der Tür keine Spuren von Gewaltanwendung gefunden haben.«
»Du meinst, er hat ihn
selbst hereingelassen?«
Leo nickte. »Oder aber
die Tür war grundsätzlich nie abgeschlossen, wenn Wegner
arbeitete, das lässt sich ja feststellen.«
»Er könnte auch
einen Schlüssel gehabt haben.«
»Er oder sie«,
meinte Leo spekulativ.
»Du denkst an die
Ehefrau?«
Lehnbachs Kopf wanderte wie
bei einem Tennismatch zwischen den Männern hin und her.
»Die Ehe scheint nicht
gerade … wie soll ich sagen … befriedigend gewesen zu sein.
Jedenfalls nicht für sie. Keine Kinder, keine eheliche Treue, wenig
Gemeinsamkeiten, das kann ganz schön trostlos sein. Sie lebten in
ziemlich unterschiedlichen Welten. Er kam herum und traf interessante
Leute, während sie allein zu Hause saß.«
Walther wirkte ein wenig
skeptisch. »Sie hat es doch selbst so gewollt. Und ihre Trauer
schien echt zu sein.«
Leo stand auf und begann, die
Hände in den Taschen, auf und ab zu gehen. »Das kam mir auch so
vor. Dennoch wäre es denkbar, dass sie ihn getötet hat und die
Tat nun bereut. Nur mal angenommen, sie hätte ihn mit einer anderen
Frau überrascht. Zum Beispiel mit der schönen Tänzerin, die
er porträtiert hat.«
»Dann hätten wir
womöglich eine Zeugin.«
»Oder Frau Wegner kommt
herein, sieht die beiden, lässt die Frau laufen und macht ihm erst
danach eine Szene.«
Dr. Lehnbach schaute auf
seine Taschenuhr und stand auf. »Ich würde Ihren Erörterungen
gern weiter lauschen, aber ich habe noch einen Termin. Wenn Sie keine
Fragen mehr haben, gebe ich die Leiche zur Bestattung frei.«
Leo nickte und grüßte
abwesend mit der Hand. »Ein netter Kerl, aber furchtbar humorlos«,
sagte er, nachdem der Arzt den Raum
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