Tod in Blau
auf seiner Runde durchs Afrikanische Viertel. Unglaublich, wie
viele Bierhallen in einer so ärmlichen Gegend überleben konnten.
Der Wirt, ein anständig wirkender Mann mit Schnurrbart und
rotkariertem Hemd, polierte sorgfältig Gläser und blickte hoch.
»Früh am Tag. Was
darf's denn sein?« Er trat an den Zapfhahn, doch Stahnke winkte ab
und wies sich aus.
»Welcher meiner Gäste
hat sich denn diesmal mit den Nationalen geprügelt?«, fragte er
ein wenig gelangweilt.
»Deswegen bin ich nicht
hier, Herr -«
»Oster. Erich Oster.«
Er kam hinter dem Tresen hervor und bot Stahnke einen Platz in einer
Nische an. Die Holzplatte des Tisches war blank gescheuert wie die ganze
Kneipe, der helle Boden mit Sand bestreut. An den Wänden hingen alte
Kupferstiche von Berlin, und hinter der Theke entdeckte Stahnke einen grünen
Sparkasten mit nummerierten Fächern, in die die Stammgäste
regelmäßig ihren Obolus warfen.
»Hier redet sich's
besser.«
Der Kriminalbeamte kam sofort
zur Sache. »Wir suchen einen Jungen namens Paul. Er soll hier in der
Gegend wohnen und geistig zurückgeblieben sein.«
Der Kopf des Mannes schoss
hoch. »Einen Paul suchen Sie? Doch nicht den Paul Görlich?«
»Sein Nachname war uns
bislang nicht bekannt.« Stahnke notierte ihn. »Woher kennen
Sie ihn?«
»Sie werden es nicht
glauben, der Junge arbeitet für mich.« Der Wirt deutete mit dem
Daumen auf eine Tür mit der Aufschrift »Kegelbahn«.
»Als Kegelaufsteller. Verdient was für die Familie dazu, und ab
und an kriegt er ein warmes Essen von mir. Hab selbst keine Kinder.«
»Wie lange macht er das
schon?«
»Etwa eineinhalb Jahre.
Die Eltern haben ihn nicht zur Schule geschickt, weil er ein bisschen
langsam ist. Eine Schande, wenn Sie mich fragen.«
»Meinen Sie denn, er hätte
die Schule geschafft?«, fragte Stahnke interessiert. Er wusste, sein
Chef legte Wert auf solche persönlichen Dinge.
»Weiß ich nicht.
Aber sie hätten es wenigstens versuchen können. Wie es jetzt
ist, kann er nicht mal lesen und schreiben.«
»Kennen Sie die Eltern?«
»Ja, der Vater war
damals bei mir und hat gefragt, ob ich den Jungen nehme. Habe gewagt zu
fragen, wieso er nicht zur Schule geht. Den hätten Sie mal hören
sollen. Von wegen Geld für Bücher, Zeitverschwendung und so
weiter. Den Berti vergöttert er dagegen. Trägt ihn auf den
Schultern über die Straße und so weiter.«
»Ist das ein anderer
Sohn?«
Oster nickte. »Ein Glück,
dass Görlichs nur die beiden haben. Sind auch so schlimm dran. Der
Vater hat meist keine Arbeit, der Kleine ist dauernd krank, und am Paul
lassen sie es aus.« Dann schien ihm etwas
einzufallen. »Aber warum wollen Sie das alles wissen? Hat der Paul
was ausgefressen? Wenn ja, war's bestimmt nur eine Dummheit, an dem Kerl
ist nichts Schlechtes.«
»Wir müssen
dringend mit dem Jungen sprechen. Es geht um den Todesfall in den
Rehbergen. Den Maler, der in seinem Atelier verbrannt ist.«
»Und was hat der Paul
damit zu tun?«
»Wir vermuten, dass er
Arnold Wegner, den Verstorbenen, gekannt hat und uns Auskunft geben kann.«
Der Wirt schüttelte
zweifelnd den Kopf. »Na ja, ich weiß nicht. Erwähnt hat
er's mir gegenüber nicht. Ich kann mal bei den Gästen rumfragen.«
»Vor allem könnten
Sie mir die Adresse der Familie geben«, sagte Stahnke.
»Togostraße 79B,
gleich um die Ecke. Im Hinterhaus, zweiter Stock.«
Stahnke spürte, dass der
Mann noch etwas auf dem Herzen hatte, und schaute ihn ermunternd an.
»Ich … na ja,
ich hab den Jungen gern, er tut mir leid, auch wenn ich's nicht zeige. So
was mag er nicht. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass der Paul
mit so einer Geschichte was zu tun haben soll.«
»Das glauben wir auch
nicht unbedingt. Zunächst wollen wir ihn nur als Zeugen befragen,
Herr Oster.« Stahnke schrieb eine Telefonnummer auf einen Zettel und
schob ihn dem Wirt hin. »Hier. Falls Sie etwas hören, das Ihnen
wichtig erscheint, melden Sie sich bitte bei der Kriminalpolizei,
Mordkommission Kommissar Wechsler. Auf Wiedersehen.«
Draußen schlug ihm
wieder der Regen ins Gesicht. Ein Glück, dass er fündig geworden
war. So wie er Wechsler kannte, wollte der lieber selbst mit dem Jungen
sprechen. Er sah auf die Uhr. Halb zwölf. Zeit für eine Stulle,
und dann ab ins Büro.
Robert Walther hätte es
in der Hochmeisterstraße nicht besser treffen
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