Tod in Blau
die Schachtel Konfekt überreicht, sich sorgfältig
umgezogen und von den Kindern verabschiedet hatte.
Es war nicht weiter schwer
gewesen, die Nachbarin zu bitten, den Abend in seiner Wohnung zu
verbringen. Sie war verwitwet und hatte Georg und Marie sehr gern. Nein,
die wirklich heikle Aufgabe lag noch vor ihm: eine Frau, die er kaum
kannte, unangemeldet für diesen Abend einzuladen, ohne die geringste
Ahnung zu haben, wohin sie gehen sollten.
Kurz vor der Beusselstraße
wurden Leos Schritte langsamer. Er hatte flüchtig daran gedacht, mit
Clara Bleibtreu in die »Palette« zu gehen und sich dort ein
wenig umzusehen, doch war es nicht ratsam, Beruf und Privates zu
vermischen.
Verdammt. Mit Marlen war es
einfach gewesen, da sie sich meist in ihrer Wohnung verabredeten. Sie
hatten sich bei einer Ermittlung kennen gelernt und trafen sich dann und
wann ganz ohne Zwang, ohne Verpflichtung und auch ohne Liebe. Sie hatte
andere Männer neben ihm, wohlhabende Männer, die ihr in diesen
Zeiten ein angenehmes Leben ermöglichten. Leo hatte sich mit dem
Gedanken abgefunden, und obwohl er ab und zu gern mit ihr schlief, suchte
er bei Marlen vor allem ein wenig Ablenkung. Sie war ein Teil seines
Lebens, den er strikt für sich behielt und über den er nicht
einmal mit Robert sprach.
Bei Clara Bleibtreu war es
anders. Sie konnte gut zuhören, er hatte mehr als einmal mit ihr
über seine Familie gesprochen, und sie wusste von der oft schwierigen
Beziehung zu Ilse. Seinen Kindern begegnete sie herzlich und verständnisvoll.
Im Grunde hätte er zufrieden sein können, und doch störte
ihn etwas. Ihr gegenüber fühlte er sich seltsam nackt und
angreifbar. Sie wusste einiges von ihm, gab aber nur wenig von sich selbst
preis.
Wohin sollte er nur mit ihr
gehen? Clara Bleibtreu schien zwar keine Frau zu sein, die Wert auf
Einladungen in teure Restaurants legte, andererseits kannte er sie kaum
und konnte sich kein sicheres Urteil erlauben. Er merkte, wie seine
Schritte noch langsamer wurden.
Er würde doch wohl in
der Lage sein, eine Frau einzuladen, auch wenn er ein bisschen aus der
Übung war. Robert würde sich köstlich amüsieren, wenn
er ihn so sehen könnte, mit zögerndem Schritt, die Hände in
den Taschen vergraben, die Stirn sorgenvoll gerunzelt. Na gut, immerhin
konnte er noch über sich selbst lachen.
Dann fiel ihm noch etwas ein
- er durfte nicht mit leeren Händen bei ihr auftauchen. Suchend
schaute er sich in der Turmstraße um. Eine Bäckerei, ein
Metzger, zwei Schuster, ein Kolonialwarengeschäft. Pralinen, das
ginge, aber es gab Menschen, die nicht gern Süßes aßen.
Nahm sie Zucker zum Tee, und wenn ja, wie viel? Er konnte sich nicht
erinnern.
Ein Stück weiter blieb
er stehen, um sich den Schuh zu binden. Da fiel sein Blick auf ein
Schaufenster im Souterrain, von dem nur die obere Hälfte zu sehen
war. Leo stieg die drei Stufen zu dem winzigen Vorplatz vor der Eingangstür
hinunter und schaute sich die Auslage an. Da, das war es!
In einer Ecke lag eine kleine
Tuschezeichnung auf Karton, eine Art Stillleben, aber nicht mit Obst oder
Blumen, sondern mit drei Büchern und einem Weinglas daneben. Gebannt
schaute er ins Fenster. Das musste ein Wink des Schicksals sein.
Die Glocke bimmelte
melodisch, und der Besitzer, ein gebeugter Mann mit altmodischem
Backenbart, der dem vergangenen Jahrhundert entstiegen schien, tauchte
hinter der Verkaufstheke auf. »Guten Abend, ich wollte gerade schließen.«
»Jetzt haben Sie noch
einen Kunden.« Leo zeigte aufs Fenster. »Ich hätte gern
die kleine Tuschezeichnung.«
Der Mann schlurfte hin, nahm
das Bild aus der Auslage und blies vorsichtig den Staub herunter. Dann
schob er es in einen Briefumschlag aus Pappe. »Damit es nicht
verknickt. Liegt schon so lange drin, dass ich mir überlegt hatte, es
zum Feueranmachen zu benutzen.«
»Bloß nicht. Wie
viel kostet es?«, fragte Leo.
»Fünfzig Mark.«
Der Trödler sagte es beinahe entschuldigend, dabei war der Preis in
heutiger Zeit mehr als bescheiden. Ein Kilo Brot auf Marken, mehr war dafür
nicht zu haben. Leo gab ihm siebzig und verabschiedete sich.
Der Mann sah ihm ein bisschen
traurig nach. Ob es ihm nun doch leidtat, das Bild verkauft zu haben,
konnte Leo nicht sagen.
*
Clara Bleibtreu schaute Leo
Wechsler überrascht an. »Guten Abend. Ach, es ist ja noch gar
nicht so
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