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Tod in Blau

Tod in Blau

Titel: Tod in Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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Ölgemälde
     im flämischen Stil, auf dem sich dralle Schnitterinnen mit langen
     Sensen in einem Kornfeld drängten.
    »Sie sehen aus, als würde
     Ihnen das Bild nicht sehr gefallen«, bemerkte sie ein wenig säuerlich.
    Er gab sich einen Ruck.
     »Verzeihung, diese Periode liegt mir einfach nicht.«
    »Sie bevorzugen moderne
     Künstler wie Wegner?«
    »Im Großen und
     Ganzen schon. Aber kommen wir zur Sache, Fräulein Kaufmann. Ich möchte
     mir die Bilder ansehen, die Sie für Herrn Wegner in Kommission
     genommen haben.« Er holte seine maschinegeschriebene Liste mit den
     entsprechenden Titeln aus der Tasche und zeigte auf die letzte Zeile.
     »Diese Zeichnung legen Sie mir bitte als Erste vor.«
    Fräulein Kaufmann ging
     mit der Aufstellung zu ihrer Kollegin. »Fräulein Sommerfeld, würden
     Sie bitte die Werke von Arnold Wegner holen? Dieses hier zuerst.«
    Die andere Verkäuferin
     huschte davon. Fräulein Kaufmann hob das Lorgnon und beäugte Leo
     wie eine strenge Lehrerin. »Ich habe Herrn Schuster gleich gesagt,
     dass wir diese Bilder nicht so leicht verkaufen werden. Wer zu uns kommt,
     sucht einfach keinen Wegner. Er vertrat die Ansicht, diese ausgewählten
     Werke seien ausreichend konservativ für unsere Kunden. Das mag schon
     sein, aber sowie sie den Namen hören …«
    Fräulein Sommerfeld kam
     mit einer großen marmorierten Mappe zurück, die mit Wegners
     Namen versehen war, und legte sie auf einen Tisch. Dann holte sie drei größere
     Gemälde, lehnte sie an einen Schrank und trat diskret beiseite. Adele
     Kaufmann löste das schwarze Seidenband, schlug die Mappe auf und zog vorsichtig ein
     Blatt hervor, das sie auf den Tisch legte. »Die gewünschte
     Zeichnung, Herr Kommissar. «
    Leo beugte sich darüber
     und hielt beinahe den Atem an. Was für ein wunderbares Porträt!
     Die zarten schwarzen Tuschelinien ließen ein Jungengesicht erstehen,
     in dem sich etwas schwer Greifbares ausdrückte. Eine gewisse Naivität,
     ein offener, ungemein verletzlicher Blick. Die hohlen Wangen und dunkel
     umschatteten Augen ließen vermuten, dass er unterernährt war
     wie so viele Kinder im Wedding.
    Zufrieden schaute er hoch.
     Mit Hilfe dieser Zeichnung würden sie den Jungen finden, daran
     bestand kein Zweifel. Er schob das Blatt ein wenig zur Seite, griff nach
     der Mappe, bevor ihm Fräulein Kaufmann zuvorkommen konnte, und
     studierte die Liste der angebotenen Werke.
     
    1. Sommerwiese, Aquarell auf
     Leinwand, 1910
    2. Stillleben mit Fischen,
     Öl auf Leinwand, 1911
    3. Elternhaus, Aquarell, 1911
    4. Mutter mit Tulpen,
     Tuschezeichnung, 1912
    5. Straßenszene in Lüttich,
     Bleistiftzeichnung, 1914
    6. Stettiner Bahnhof, Öl
     auf Leinwand, 1919
     
    »Die Werke Nr. 1, 2 und
     6 sehen Sie hier drüben«, sagte Fräulein Kaufmann und
     deutete auf die Gemälde, die ihre Kollegin geholt hatte.
    Alle Bilder unterschieden
     sich beträchtlich von dem, was Wegner sonst gemalt hatte. Auf den
     ersten Blick wirkte nichts davon anstößig. Die Sommerwiese hätte
     in jedes gutbürgerliche Wohnzimmer gepasst, das konventionelle
     Aquarell vom Elternhaus unterschied sich vollkommen von dem sehr viel persönlicheren
     Gartenbild, das Leo in Wegners Wohnung betrachtet hatte. Die Zeichnung,
     auf der die Mutter des Künstlers einen Strauß Tulpen in einer
     Vase anordnete, überzeugte durch ihre
     Schlichtheit und besaß nichts von der bitteren Ironie der späteren
     Werke.
    In die belgische Straßenszene
     ließ sich mit viel Phantasie ein Schatten hineindeuten, der über
     die Mädchen in ihren zarten Sommerkleidern zu fallen schien, und auf
     dem Stettiner Bahnhof war im Hintergrund ein Beinamputierter zu erkennen.
    Dennoch, Leo blieb bei seiner
     Meinung. Diese Bilder ließen, zumindest auf den ersten Blick, nicht
     erkennen, weshalb Wegner hatte sterben müssen. Nachdem er sich alle
     Werke angesehen hatte, kehrte er noch einmal zu der Tuschezeichnung des
     Jungen zurück. Er schaute zu Fräulein Kaufmann, die geduldig die
     Hände gefaltet hielt.
    »Was halten Sie davon?«
    Sie beugte sich vor und hob
     das Lorgnon vor die Augen. Sie ließ sich Zeit mit der Antwort.
     »Gute Technik. Beinahe makellos, würde ich sagen.«
    »Und der Ausdruck?«
    Diesmal überlegte sie länger.
     »Das Gesicht hat etwas Sonderbares, was genau, kann ich nicht sagen.
     Aber der Junge hat Wegner etwas bedeutet, das spürt man. Sein Sohn
     scheint er allerdings nicht zu sein, zumindest erkenne ich keine

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