Tod in Blau
Walther.
»Selbstverständlich,
ich habe es ja mit eigenen Ohren gehört.«
»Ging der Streit noch
weiter?«
Die Frau zögerte, als
wollte sie die Situation auskosten. »Es wurde noch schlimmer. Sie
sagte: ›Mit mir willst du kein Kind haben, aber dieser Junge darf
ständig zu dir kommen.‹«
Walther stieß einen
leisen Pfiff aus. Das würde Leo gefallen. »Was haben Sie sich
bei diesen Worten gedacht?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Ich wusste nicht, worum es ging, aber Frau Wegner sah manchmal so
traurig aus. Es ist doch nicht gut, wenn eine junge Frau dauernd allein
ist und keine Kinder hat, hab ich mir gedacht.«
»Und dies geschah kurz
bevor Wegner starb?«, fragte Walther nach.
»Ja, warten Sie, es
muss ein Montag gewesen sein, ich wische immer montags den Flur.«
Er notierte alles. »Sind
Ihnen öfter Streitigkeiten zu Ohren gekommen, ganz zufällig,
meine ich? Türenschlagen, Gepolter im Treppenhaus, Beschimpfungen?«
Frau Wollandt schüttelte
entrüstet den Kopf, als fühlte sie sich persönlich gekränkt.
»Doch nicht in diesem Haus, sonst hätte ich mich
beim Vermieter beschwert. Nein, so etwas habe ich nie erlebt, daher war
ich auch sehr überrascht. Frau Wegner ist eigentlich eine stille
Person, beinahe vornehm, könnte man sagen. Und dann plötzlich
diese Ausdrücke -«
»Verstehe. Es gab also
in der Vergangenheit keine derartigen Zwischenfälle. Bekamen die
Wegners ab und zu Besuch?«
»Ganz selten. Sie
lebten sehr zurückgezogen. Sicher, eine Frau gehört ins Haus,
das haben mein Otto und ich auch so gehalten. Aber er hat abends immer
hier bei mir gesessen.« Sie warf einen wehmütigen Blick auf das
Foto eines Mannes mit Glatze und steifem Kragen. »Er war bei der
Post. Nicht so romantisch wie die Seefahrt, aber sicherer. Er hat gut für
mich gesorgt. Und einmal im Jahr sind wir nach Hamburg gefahren, meine
Schwester wohnt noch in Blankenese in unserem Elternhaus. Sie hat die Möbel
behalten, ich komme mir immer vor wie ein kleines Mädchen, wenn ich
ins Wohnzimmer gehe. Seit mein Mann gestorben ist, besuche ich sie sogar
zweimal im Jahr, im Mai und zu Weihnachten.«
»Dann wünsche ich
Ihnen schon einmal eine gute Reise, Frau Wollandt«, sagte Walther
rasch und erhob sich. »Ich möchte Sie bitten, sich in den nächsten
Tag im Präsidium einzufinden und Ihre Aussage zu Protokoll zu geben.
Vielen Dank für den freundlichen Empfang.«
Er trat den Rückzug an,
bevor sie weiter von den Schönheiten Blankeneses und der christlichen
Seefahrt schwärmen konnte.
*
Kaum zu fassen, dass er nun
schon seit Tagen diesem Menschen hinterherlief und -fuhr, in zugigen
Toreinfahrten wartete und hinter Bäumen in Deckung ging. Herbert von
Malchow fand die ganze Ermittlung entwürdigend und fragte sich, wie
jemand diesen Dienst länger als ein paar Wochen ertragen konnte. Er
war kaum besser als ein Schutzmann, der in seinem Revier Streife ging.
Immerhin saß er trocken
im Wagen und folgte dem Automobil des Verdächtigen, das gerade den
Lehrter Bahnhof passierte. Interessant. Er spürte, wie sich eine
leise Hoffnung in ihm regte, und sie wurde nicht enttäuscht. Von
Malchow lenkte den Wagen am Kriminalgericht vorbei durch die belebte
Turmstraße, bevor sein Vordermann nach rechts in die Emdener Straße
abbog und nach etwa zweihundert Metern anhielt. Er selbst parkte ein Stück
dahinter, da zwei Automobile in dieser Gegend recht auffällig
wirkten, zündete sich eine Zigarette an und trommelte gespannt aufs
Lenkrad.
Der Mann, der den Hut gegen
die Kälte tief ins Gesicht gezogen hatte, stieg aus und verschwand im
nächsten Hauseingang.
Allzu lange brauchte von
Malchow nicht zu warten. Und seine Mühe wurde belohnt.
Zunächst war es nur eine
Vermutung gewesen, doch als der Verdächtige den Koffer im Wagen
verstaute und einer Frau im braunen Wintermantel beim Einsteigen half,
waren seine letzten Zweifel ausgeräumt. Bruno Schneider, gegen den
sie wegen des Verdachts der Schieberei mit diversen Waren, darunter auch
Waffen, ermittelten, verreiste offenkundig mit Leo Wechslers Schwester.
Das war gut, sehr gut. Plötzlich
störte es Herbert von Malchow gar nicht mehr, dass er an einem
eisigen, bleigrauen Samstagvormittag allmählich kalte Füße
bekam.
14
Die Idee war mehr als
unorthodox, so viel war ihm klar. Dennoch fühlte Leo sich beschwingt,
nachdem er Frau Meyer
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