Tod in Blau
Ähnlichkeit.
«
»Wegner war kinderlos«,
erklärte Leo. »Dieser Junge wohnt anscheinend im Wedding und
hat ihn häufiger im Atelier besucht. Bisher konnte ich ihn nicht
ausfindig machen, aber die Zeichnung dürfte uns dabei helfen. Man
sagte mir, er sei geistig zurückgeblieben.«
»Deshalb der etwas
leere Ausdruck. Mir fiel eben kein Begriff dafür ein.«
Leo klappte die Mappe zu.
»Was können Sie mir über Arnold Wegner sagen? Kannten Sie
ihn persönlich? Wie kam der Kontakt zu ihm zustande? Brauchte er
dringend Geld, als er Ihnen die Bilder in Kommission gab?«
»Das sind viele Fragen
auf einmal. Kommen Sie doch bitte mit ins Kontor.«
Sie führte ihn in einen
altmodischen Raum, dessen Wände bis auf halbe Höhe mit Holz getäfelt
waren. Es roch nach Staub und Papier, irgendwie trocken, und Leo dachte
mit leiser Sehnsucht an die anregende Atmosphäre bei Elisa Reichwein.
Adele Kaufmann bot ihm einen Stuhl mit harter Lehne an.
»Zu Ihren Fragen, Herr
Kommissar«, sagte sie sachlich. »Der Kontakt kam über
Herrn Schuster zustande. Er traf Wegner bei einem Empfang und bot ihm an,
einige seiner konventionelleren Werke in Kommission zu nehmen. Ob Wegner
dringend Geld brauchte, weiß ich nicht. Es ist allerdings so, dass
die meisten Künstler ständig in Geldnot sind. Von der Malerei zu
leben ist schwer, besonders in Zeiten wie diesen. Nur wenige können
es sich noch leisten, in Kunst zu investieren.«
Das war ihm nicht neu, doch
Leo nickte interessiert. »Und wie war Wegner als Mensch? Können
Sie sich vorstellen, wer ihm übelwollte, wen er sich zum Feind
gemacht haben könnte?«
Fräulein Kaufmann dachte
ernsthaft nach. »Das ist schwer zu sagen. Natürlich gab es
viele Leute, denen seine Kunst missfiel. Auch ich bin kein Freund seiner
Porträts, das kann ruhig jeder wissen. Aber ob man ihn deswegen
gleich umbringt - ich weiß nicht.« Sie räusperte sich
verlegen. »Eigentlich halte ich es für ausgeschlossen.
Vielleicht hatte es auch gar nichts mit seiner Arbeit zu tun. Womöglich
hatte er Schulden - oder Frauengeschichten.« Beim letzten Wort kroch
ihr die Röte am Hals empor.
Leo nutzte die Chance.
»Denken Sie an eine bestimmte Frau?«
Sie schüttelte den Kopf
und bereute sichtlich, dass sie sich zu dieser Bemerkung hatte hinreißen
lassen. »Arnold Wegner war dafür bekannt, dass er den Frauen
sehr zugetan war. Daran hinderte ihn wohl auch seine Ehe nicht.«
»Können Sie mir
Namen nennen?«
»Nein, für Klatsch
habe ich mich nie interessiert, da sollten Sie lieber seine Freunde
fragen.«
»Und wo finde ich die?«,
erkundigte sich Leo, der im Übrigen bezweifelte, dass Fräulein
Kaufmann nie hingehört hatte, wenn es um saftige Geschichten ging.
»Er ging häufig in
ein Künstlerlokal in der Mommsenstraße, ich glaube, es heißt
›Palette‹. Gar nicht weit von hier.« Den Namen hatte
auch Berns erwähnt. »Dort traf er sich mit seinesgleichen.«
Der Tonfall, in dem sie das letzte Wort aussprach, war vielsagend.
Leo stand auf. »Verbindlichen
Dank für die Auskunft, Fräulein Kaufmann. Die Mappe nehme ich
übrigens mit.«
Sie schaute ihn missbilligend
an. »Ich kann Ihnen unsere Kommissionsware nicht einfach aushändigen.«
Allmählich hatte Leo
genug von ihrer steifen Art. »Und ob Sie das können. Ich leite
die Ermittlungen und beschlagnahme die Zeichnung hiermit als Beweismittel.
Wenn Sie mir Papier und Stift geben, werde ich den Empfang gern
quittieren. Außerdem dürften die Bilder ohnehin in den Besitz
der Witwe übergehen, die damit nach Gutdünken verfahren kann.«
Er unterschrieb auf dem Zettel, den sie ihm hinschob, klemmte sich die
Mappe unter den Arm und ging hinaus auf die Straße, wo er erst
einmal tief durchatmete.
*
Kriminalassistent Berns
marschierte am Hundefriedhof in der belebten Müllerstraße
vorbei, auf dem selbst bei diesem ungemütlichen Wetter einige
Tierfreunde ihre verstorbenen Lieblinge besuchten. Ein feuchter Nebel hing
zwischen den Bäumen und ließ die kleinen Gräber seltsam
unwirklich erscheinen. Eigenartig, dass ausgerechnet in dieser ärmlichen
Gegend, in der so viele Menschen nicht genug zu essen hatten, ein solcher
Friedhof angelegt worden war.
Ein Fuhrwerk mit der
Aufschrift »Wittler-Brot« ratterte vorbei und bespritzte Berns mit
Regenwasser. Er riss sich von seiner Betrachtung über letzte Ruhestätten
für Hunde
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