Tod in Blau
Kriminaloberkommissar Ernst Gennat in der Tür.
»Guten Appetit, Herr
Wechsler.« Er war dick, unglaublich dick, doch hinter den Hängebacken
und den kleinen Äuglein verbarg sich ein ungeheuer scharfer Verstand.
Leo stellte rasch den Teller
ab und begrüßte seinen Vorgesetzten, der ihn nach nebenan führte
und ihm einen Platz anbot. Gennats Büro war im ganzen Präsidium
berühmt - nicht nur, weil es mit einem Sofa und zwei Plüschsesseln
ausgestattet war, sondern auch wegen der Fotos von Mördern und Mörderinnen,
die die Wände zierten. Am Sofa lehnte eine Axt, die an einen längst
gelösten Mordfall erinnerte. Leo kam sich hier immer vor wie in einem
Kriminalmuseum.
»Was kann ich für
Sie tun? Mal wieder Ärger mit denen da oben?«, fragte Gennat
augenzwinkernd, da Leo gelegentlich aufbrausend reagierte und mehr als
einmal mit seinen Vorgesetzten aneinandergeraten war.
»Ja und nein,
eigentlich geht es nur um von Malchow«, sagte Leo und berichtete,
was dieser ihm über Bruno Schneider erzählt hatte.
Gennat wiegte den Kopf.
»Schwierige Lage, Herr Kollege, da können Sie nicht viel machen
außer abwarten. Ihnen ist wohl klar, dass Sie sich in Teufels Küche
begeben, wenn Sie Ihrer Schwester davon erzählen.«
Leo nickte. »Gewiss.
Ich werde schweigen, auch wenn es mir schwerfällt. Sie sollten nur
Bescheid wissen, falls von Malchow die Geschichte verbreitet. Ich dulde
nicht, dass hier im Präsidium über meine Schwester geklatscht
wird.«
Gennat lächelte
beschwichtigend. »Keine Sorge, Wechsler, dazu wird es nicht kommen.«
Er überlegte. »Und noch eins. Ich werde mich einmal in Ruhe mit
dem Leiter der Inspektion D unterhalten und ihm sagen, dass wir ihm Herrn
von Malchow gern noch länger zur Verfügung stellen.«
*
Robert Walther zog den Schal
enger um den Hals und duckte sich, um dem eisigen Wind weniger Angriffsfläche
zu bieten. An einer Hauswand hockte ein sogenannter Schüttler, ein
ehemaliger Soldat, der einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte und nun
zuckend und zitternd um Almosen bettelte. Er trug noch immer seine
zerlumpte Uniform, vielleicht um größeres Mitleid zu wecken.
Berlin war voll von solchen armen Schweinen, die es besonders schwer
hatten, weil sie nicht mit fehlenden Gliedmaßen oder beeindruckenden
Narben aufwarten konnten. Robert warf einen Schein in den hingestreckten
Hut und ging weiter, wobei er suchend die Schilder neben den Hauseingängen
musterte. Schließlich hatte er die Kanzlei gefunden.
Rechtsanwalt Dr. Holderer bot
Walther einen Stuhl an. »Was kann ich für Sie tun?«
»Sie kennen sich mit
Familiensachen aus?«
»Familienrecht ist mein
Fachgebiet, Herr Kriminalsekretär. «
»Gut. Ich möchte
wissen, unter welchen Umständen man in Deutschland ein Kind
adoptieren kann.«
»Das ist eine sehr
allgemeine Frage. Vielleicht beschreiben Sie mir die Situation der
fraglichen Partei ein wenig näher.«
»Es handelt sich um ein
kinderloses Ehepaar. Der Mann möchte keinen Nachwuchs, die Frau
schon. Der Mann lehnt auch eine Adoption ab. Der Mann
stirbt. Kann die Frau nun ein Kind annehmen?«
Der Anwalt legte die
Fingerspitzen zusammen und sah Walther lächelnd an. »Die
rechtliche Lage ist ziemlich eindeutig. Ich zitiere: ›Das Bürgerliche
Gesetzbuch kennt nur eine Art der Annahme an Kindesstatt, die sowohl von
einem Manne als auch von einer Frau ausgehen kann.‹ Dies ist also
grundsätzlich möglich. Eine weitere Bedingung besteht darin,
dass die annehmende Person keine eigenen ehelichen Kinder haben darf. Auch
dies wäre in Ihrem Fall gegeben.«
»Existieren weitere
Voraussetzungen?«
»Ja. Im Grunde besagt
§ 1744, dass die annehmende Person das fünfzigste Lebensjahr
vollendet haben muss.«
»Unsere Frau ist
deutlich jünger, Anfang dreißig, würde ich sagen«,
warf Walther rasch ein.
Der Anwalt hob die Hand.
»Immer langsam, es gibt eine staatliche Befreiung von dieser
Voraussetzung, das kann ich Ihnen gleich schriftlich mitgeben.« Er
beugte sich vor und schaute Walther eindringlich an. »Nun aber das
eigentlich Wichtige: Solange die annehmende Person verheiratet ist, benötigt
sie die Zustimmung des Ehegatten. Ist sie verwitwet, kann sie allein
entscheiden.«
Walther klappte sein
Notizbuch zu und stand auf. »Das war sehr hilfreich, Herr Dr.
Holderer.«
»War das schon alles?
Sie haben mich neugierig gemacht«, meinte
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