Tod in Blau
schluckte, konnte nichts
sagen und wünschte, sie würde einfach weitersprechen. Was sie
zum Glück auch tat.
»Ich habe es leicht,
ich bin allein. Muss auf niemanden Rücksicht nehmen, kann kommen und
gehen, wann ich will. Aber glaub mir, der Preis dafür ist hoch. Wenn
ich wählen könnte, hätte ich lieber eine Familie, mit allen
Sorgen und Nöten, die sie mit sich bringt.«
Er bemerkte die Leidenschaft
in ihrer Stimme. »Und warum hast du keine Familie?«, fragte er
und fürchtete schon, er hätte sich zu weit vorgewagt.
Clara wollte gerade
antworten, als sich ihr Gesichtsausdruck abrupt veränderte. Sie
wirkte wie versteinert.
Bevor er noch fragen konnte,
was los sei, war der Mann schon an ihren Tisch getreten, begrüßte
sie mit einer spöttischen Verbeugung und schlug andeutungsweise die
Hacken zusammen.
»Guten Abend, die
Herrschaften. Ich habe durchaus Phantasie, aber das übertrifft doch
alles. Danke, Clara, du brauchst uns nicht bekannt zu machen.«
Ulrich von Mühl beugte
sich vor und drückte lässig seine Zigarette im Aschenbecher auf
dem Tisch aus. »Weißt du eigentlich, wie wenig ein
Kriminalkommissar verdient?«, fragte er mit einem abschätzigen
Blick auf Leo, legte eine Kunstpause ein und betrachtete seine sorgfältig
manikürten Finger. »Ach, ich vergaß, du sorgst ja selbst
für dich. Wie lebt es sich denn so vom Buchhandel? Ich muss sagen, früher
war deine Toilette eleganter. Wenn du mich jetzt entschuldigst, ich bin in
Begleitung.« Wieder die ironische Verbeugung, dann war er hinter
einer Säule verschwunden.
Leo, der instinktiv
aufgestanden war, setzte sich wieder. Er trank seinen Kaffee aus, um sich
die nächsten Worte zurechtzulegen. Er spürte, dass sich in
diesem Augenblick etwas grundlegend verändert hatte. »Woher
kennst du ihn?«
»Ich war mit ihm
verheiratet.«
18
Am nächsten Tag konnte
sich Leo nur verschwommen daran erinnern, wie er Clara nach Hause gebracht
hatte, so sehr hatte ihn die Begegnung mit von Mühl schockiert. Um
schneller vom Café wegzukommen, hatte er ein teures Taxi genommen.
Sie saßen im Fond, jeder in seine Ecke gedrückt, und schwiegen.
Bisweilen sah Clara ihn verstohlen von der Seite an, doch er konnte
einfach nicht mit ihr sprechen. Er wollte nur nach Hause und Ordnung in
seine Gefühle bringen. Sich darüber klar werden, was es
bedeutete, dass sie mit einem Mann verheiratet gewesen war, den er persönlich
verabscheute. Sie war also geschieden, anders war die Situation nicht zu
erklären. Warum hatte sie ihm nichts davon erzählt? Weil sie
sich noch nicht gut genug kannten? Oder war sie gerade dabei gewesen, es
ihm zu sagen, als von Mühl auftauchte?
Der Abschied war kurz und
unbeholfen verlaufen. Es schien, als wollte Clara noch etwas sagen, doch
dann wandte sie sich rasch ab und suchte nach ihrem Haustürschlüssel.
Leo wartete, bis sie in der Tür verschwunden war, bezahlte das Taxi
und machte sich zu Fuß auf den Heimweg, um wieder einen klaren Kopf
zu bekommen.
Dass Clara schon einmal
verheiratet gewesen war, machte ihm im Grunde nichts aus. Es konnte
vorkommen, dass man jemanden nicht mehr liebte oder dass zwei Menschen
einfach nicht zusammenpassten und deswegen auseinandergingen. Allerdings
hatte es ihn tief getroffen, dass es ausgerechnet dieser Mann gewesen war.
Ein arroganter Mensch, der ihm von Anfang an
herablassend, wenn nicht gar beleidigend begegnet war, der beharrlich an
einer gesellschaftlichen Stellung festhielt, die längst überholt
war, und fragwürdigen politischen Ideen anhing.
Andererseits, sagte er sich,
sprach es auch für Clara, dass sie sich von diesem Mann getrennt
hatte - falls es denn so gewesen war. Leo stieß wütend die Hände
in die Manteltaschen. Hätte er sich zu einem Gespräch
durchgerungen und sie behutsam danach gefragt, müsste er sich jetzt
nicht mit bloßen Vermutungen abgeben. Aber nein, seine Gefühle
waren wieder einmal mit ihm durchgegangen.
Als er nach dem Fußmarsch
in die Emdener Straße einbog, war ihm leichter ums Herz. Plötzlich
spürte er wieder Claras Hand auf seiner, und ihm wurde trotz der
Winterkälte warm.
Allerdings würde die
unangenehme Begegnung im Café ihren Ermittlungen in Sachen
Asgard-Gesellschaft nicht gerade förderlich sein. Wenn es hart auf
hart kam, konnte von Mühl ihn der Voreingenommenheit beschuldigen,
und es sähe nicht gut
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