Tod in Blau
der Anwalt ein wenig enttäuscht.
»Darf ich fragen, worum es in Ihrem Fall geht?«
»Genaueres kann ich
noch nicht sagen. Aber es wäre denkbar, dass die Frau ihrem künftigen
Mutterglück ein wenig nachgeholfen hat.«
*
Leo zweifelte noch, als er am
Abend die Klinke der Leihbücherei hinunterdrückte. Eigentlich
hatte er sich ihr nächstes Treffen anders vorgestellt, auf jeden Fall
romantischer, und nun kam er mit seinen Familienproblemen
daher, als könnte er sie nicht allein lösen. Was auch der
Wahrheit entsprach. Er wusste, er konnte nur zusehen, wie Ilses Freund
verhaftet wurde, alles andere hätte er mit seiner Pflicht als
Polizeibeamter nicht vereinbaren können. Und doch sehnte er sich
danach, mit Clara darüber zu sprechen, selbst wenn sie ihm nicht
besser raten konnte als Walther oder Gennat.
Sie schaute ihn strahlend an
und kam ihm mit ausgestreckter Hand entgegen. »Was für eine
nette Überraschung, Leo.«
Er spürte, wie ihm ganz
heiß wurde.
»Ich bin gleich fertig.
Kommen Sie, um Bücher zu holen, oder wollen wir etwas trinken?«,
fragte sie ein wenig herausfordernd.
»Letzteres, falls Sie
Zeit und Lust haben«, sagte er und erwiderte ihren Blick.
»Zu Hause liegt ein
Stapel Bügelwäsche, aber die wird nicht schlecht. Ich räume
noch eben zusammen, dann können wir gehen. Heute suchen Sie übrigens
das Lokal aus.«
Er lehnte sich an ein Regal
und dachte nach. Sie wollten sich in Ruhe unterhalten, da kam ein lärmendes
Tanzetablissement kaum in Frage. Dann fiel ihm das Café Caspary in
einer Nebenstraße des Kurfürstendamms ein, in dem er sich
einmal mit Marlen getroffen hatte. Es war im Stil der Wiener Kaffeehäuser
eingerichtet, mit großen Spiegeln an den Wänden und gemütlichen
Nischen, in denen man nicht gestört wurde. Dazu ein angenehmes
Publikum, diskrete Musik, schmackhaftes Essen und nicht zu teuer, dort würde
er mit Clara hingehen.
Er zuckte zusammen, als sie
unvermittelt vor ihm stand. »Kann ich so gehen, oder muss ich mich
noch umziehen?«
Sie trug ein dunkelgraues
Kostüm mit weißer Bluse, vor der ihre zarte Haut schimmerte.
Die rotbraunen Haare fielen ohne Kämme und Nadeln lockig auf die
Schultern.
»Nein, Sie sehen
wunderbar aus.« Leo beugte sich vor und küsste sie flüchtig
auf die Wange. Gleich darauf wusste er nicht mehr, woher er
den Mut genommen hatte, aber sie lächelte ihn an.
»Ich bin bereit.«
Sie fuhren ab Bahnhof
Beusselstraße Richtung Süden und gingen von der Uhlandstraße
zu Fuß zum Café Caspary, das sich in einem schönen
klassizistischen Bau in der Leibnizstraße befand. Die großen
Scheiben waren durch steinerne Säulen unterteilt, die Tür
zierten Einsätze aus buntem Glas. Draußen stand eine
Werbetafel, auf der Apfelstrudel, Palatschinken, Nockerln und andere
österreichische Köstlichkeiten angepriesen wurden.
Clara lächelte ihn an.
»Woher kennen Sie meine süße Ader?«
»Reiner Instinkt«,
sagte Leo und hielt ihr die Tür auf. Wohlige Wärme flutete ihnen
entgegen. Ilse und Bruno Schneider waren beinahe vergessen.
Sie fanden eine kleine Nische
nahe beim Fenster und bestellten Kaffee und Apfelstrudel mit Schlag. Als
sie aufgegessen hatte, schob Clara ihren Teller beiseite, stützte das
Kinn in die Hände und sah ihn an.
»Ich werde nicht
richtig schlau aus Ihnen. Sie tauchen immer so unerwartet auf. Es macht
mir ja nichts aus, aber ich würde mich auch gern einmal auf eine
Verabredung freuen.« Dann sah sie, wie ernst er plötzlich
wirkte. »Tut mir leid, ich wollte Sie nicht kränken. Es hat
sicher mit Ihren unregelmäßigen Dienstzeiten als Polizeibeamter
zu tun.«
Leo nickte. »Das auch.«
Er tastete in seiner Jackentasche nach den Zigaretten, bot ihr eine an und
nahm selbst auch eine. »Sie wissen ja, dass ich mit meiner Schwester
zusammenlebe. Manchmal ist es nicht einfach, allen gerecht zu werden.
Meinen Kindern, Ilse, meiner Arbeit und -«
»- mir?« Sie
legte ihre Hand auf seine.
Leo drückte die
Zigarette wieder aus. Verdammt, warum konnte er sich nicht richtig
entspannen, obwohl er Claras Gegenwart so genoss? »Ja«, sagte
er leise. »Wo ich auch bin, ich habe immer das Gefühl, dass
jemand anders zu kurz kommt.«
Sie ließ ihre Hand
unbeirrt auf seiner liegen. »Das brauchst du nicht, Leo. Du hast ein
eigenes Leben, du bist nicht nur Bruder, Vater und Polizist.«
Er
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